Montag, 31. Dezember 2018

Fünftes FOFL

Es hat geklappt: Es gab ein Extra-FOFL zum Jahresabschluss. Für ein Weihnachtsspecial waren wir etwas spät dran, aber trotzdem tauchten Glocken auf, ging es um Wünsche von Kindern und wurde der Bedürftigen gedacht.

No reptiles - Everything Everything (2015)
Ein  geheimnisvolles Lied. Gut, wenn man den Text vorliegen hat, denn in der ersten Minute wird dieser derart unverständlich hastig heruntergebetet, dass der Eindruck entsteht, hier solle schnell etwas hinter sich gebracht werden. Geht es um Krieg? Das Bild wird mehrfach angeführt. Das dann eher entschleunigte restliche Lied soll jedoch vielmehr die Lethargie der Gesellschaft anprangern, die vornehmlich aus Weicheiern, denn aus Reptilien besteht. So die Interpretation. Wenn am Ende noch eine einzige Nacht erfleht wird, bleibt offen, wofür. Es klingt wie ein stilles Gebet, laut heraus gesungen. Es bewahrt sich seine Stille, da es der Allgemeinheit dennoch nichts sagt. Die Beweggründe des Bittstellers bleiben im Verständnis schwammig wie die besungene Gesellschaft.
And no reptiles, just soft boiled eggs in shirts and ties

Waiting for the flashing green man
Quivering and wobbling just like all the eggs you know
I'm going to kill a stranger So don't you be a stranger
O baby, it's alright to feel like a fat child in a pushchair
Old enough to run
Old enough to fire a gun

London - Benjamin Clementine (2015)
London ruft nach dem Helden dieses Lieds, er trägt London in sich. Er befindet sich jedoch in Paris und führt eine Auseinandersetzung darüber, ob es gut für ihn ist, was er tut, ob es sich lohnt, weiter zu hoffen. Es klingt, als solle er sich nicht mehr vergeblich bemühen oder, auch so eine Hypothese, die Finger von Drogen lassen. Der Vorwurf, er würde etwas vorspiegeln, was ihm niemand abkauft, wird gekontert mit der Antwort, dass nur, weil es nicht läuft wie er sich das wünscht, er sich nicht selbst unterschätzen wird. Was hier beschrieben wird, und für den ein oder anderen nach alkoholisierten Jugendlichen nachts downtown klingt,  ist eine Situation in der sich der Sänger tatsächlich befand. Aufgrund privater Probleme ging er mit 19 Jahren von London nach Paris, lebte einige Jahre obdachlos und hielt sich mit kleinen Engagements und als Straßenmusiker über Wasser, bis er entdeckt und produziert wurde. Verdient. Ein poetischer Sänger und Pianist, nicht zu unterschätzen.

Although my preferred ways are not happening
I won't underestimate who I am capable of becoming
History will be made today is written boldly on his face
so clear you could hardly miss it, you could hardly miss it
For transcending the barriers of yesterday was and is the dream
 
The troubles - The Roches (1979)
Der Ohrwurm des Abends. Hebt die Stimmung trotz des Titels. Hebt die Stimmung, weil die sehr klar klingenden Gitarren eine unschuldige Melodie liefern und die spielerischen Stimmen der Schwestern von The Roches eine hübsche Sorglosigkeit transportieren, die in einem entzückenden Kanon kulminiert. Das Ganze birgt ein satirisches Moment: Während die Schwestern einen bevorstehenden Trip nach Irland besingen, wo die "Troubles" wüten, bleibt ihre Hauptsorge, dass die Gitarre heil ankommt und ob es gesundes Essen und Kuchen in Dublin gibt. Falls nicht, müßten sie sterben (während sie sich aus der Schußlinie halten). Das sehr nette Liedchen ist nicht sehr bekannt. Zumindest nicht mehr, der Bekanntheitsgrad war nicht langlebig. Damals in New York, in der Greenwich Village Clubszene, waren die Mädels durchaus populär und haben u.a. mit Paul Simon und Robert Fripp (King Crimson) zusammengearbeitet. Whistle along.

We're going away to Ireland soon
We'll try not to get in the way of the guns
as we always do
We're flying across the ocean soon
I dreamed I saw my guitar topple off onto the runway
please be careful with my guitar whoever you are

Bells of New York City - Josh Groban (2010)
Für die einen vermittelt das Lied eine Weihnachtsstimmung (Kling Glöckchen kling), für andere Winterblues, für wieder andere gleich Selbstmordgedanken. Steht da jemand schon auf der Brüstung eines Wolkenkratzers hoch über der Stadt, die niemals schläft und hat Todessehnsucht, während der Central Park wie ein (Toten)bett ausgebreitet vor ihm liegt? For whom the bell tolls? Nein, falsches Lied. Die Stadt ist erleuchtet und die Lichter vertreiben das Grau, die Glocken mahnen, nicht zu gehen und leise rieselt der Schnee. Nochmal falsches Lied, sorry.
Neben Selbstmordgedanken zogen wir auch eine thematisierte Trennung in Betracht. Oder naht die Abreise und es ist schlicht Abschiedsschmerz von der geliebten Metropole? Josh Groban ist ausgebildeter Bariton und Schwiegersohntyp. Ich höre an diesem Abend das erste Mal von ihm (wie im Übrigen auch von The Roches und dem Tom Tom Club).

It's always this time of year that my thoughts undo me
with the ghosts of many lifetimes all abound
But from these mad heights I can always hear the sound
Of the bells of New York City singing all around
Stay with me, stay with me

Elevator Operator - Courtney Barnett (2015)
Eine Künstlerin von Downunder, die in ihren Songs kleine Geschichten erzählt, Einblicke in unterschiedliche Leben gibt, fein gezeichnet. Hier rebelliert ein junger Mann in Melbourne gegen den Alltagstrott. Ferris, nein, Oliver Paul macht blau. Er hat immer davon geträumt ein einfacher Elevator Operator zu sein, also ab ins Nicholas Building und auf zum Aufzug. Dort trifft er auf eine alte Dame, in wenigen Worten wunderbar umrissen erscheint sie vorm inneren Auge des Zuhörers. Sie haben das gleiche Ziel: Rooftop. Was die Dame selbst dort oben will, wird nicht klar, aber sie meint zu wissen, was ihn bewegt. Allein, sie irrt. Sie mögen unterschiedlichen Dinge wollen und doch auch beide dasselbe: Ihre Ruhe.

The elevator dings and they awkwardly step in
Their fingers touch on the rooftop button
Don't jump little boy, don't jump off that roof
You've got you're whole life ahead of you, You're still in your youth
I'd give anything to have skin like you
He said "I think you're projecting the way that You're feeling
I'm not suicidal, just idling insignificantly

Johnny Ryall - Beastie boys (1989)
Das zweite Lied zum Thema Obdachlosigkeit. Wir sind wieder in NYC, dieses Mal unten, ganz unten. Johnny Ryall trägt Toastbrottüten-Schuhe, schläft in einem Pappkarton, wäscht Autoscheiben, bettelt und trinkt. Eher nüchtern als bemitleidend erläutern die Beastie Boys das Schicksal eines Mannes, der auf der Straße lebt. Er behauptet, mal eine große Nummer im Musikbusiness gewesen zu sein, Blue Suede Shoes geschrieben und goldene Schallplatten verliehen bekommen zu haben. Hier folgt der Absturz am Ende der Karriere, erhebt sich nicht der Phoenix aus der Asche wie bei Benjamin Clementine. Ein Rockabilly-Star der für sich selbst immer noch genau das ist und nicht der Penner, den alle anderen in ihm sehen.  Musikalisch nicht das beste Lied der Beastie Boys aber in ihren Anliegen sowie textlich sind sie häufig unterschätzt.

Donald Trump and Donald Tramp living in the men's shelter
Wonder Bread Bag Shoes and singing Helter Skelter
He asks for a dollar you know what it's for
Man, bottle after bottle he'll always need more
He's no less important than you working class stiffs
He drinks a lot of liquor but he don't drink piss

Wordy Rappinghood - The Tom Tom Club (1981)
Noch ein Lied das seinerzeit wohl recht beachtet war, aber auf lange Sicht in Vergessenheit geriet. Dabei macht auch dieses Lied Spaß. Gut, man mag über den 80s-Synthies-Sound eher schmunzeln, aber das Ganze hat etwas. Was sind Worte wert und worüber reden wir hier eigentlich? Wir fühlen uns an Dadaismus erinnert und weil's so schön ist, hören wir uns deshalb im Anschluss passenderweise "Tuffn" von Rainald Grebe an.
Aber zurück zum Tom Tom Club. Was da nach Dada klingt ist eine Entlehnung aus einem marokkanischen Kinderreim, eingebettet in ungeschliffenen Rap, an dem sich, wie so oft seiner Zeit, mehr schlecht als recht versucht wurde. Alles recht simpel aber dennoch irgendwie charmant.

Ram sam sam, a ram sam sam
Guli guli guli guli guli ram sam sam
Haykayay yipi yaykayé
Ahou ahou a nikichi
What are words worth?
Words of nuance, words of skill
And words of romance are a thrill
Words are stupid, words are fun
Words can put you on the run 

When I grow up - Readymade (1998)
Zweites Lied zum Thema "Was willst Du werden, wenn Du mal groß bist?" bzw. "Was wolltest Du werden, als Du klein warst?" Viele kleine Jungs träumen davon, einen Mülltransporter (oder wahlweise einen Bagger) zu führen, wenn sie erwachsen sind. Das Bedienen großer Maschinen scheint auf das kindlich-männliche Wesen eine große Faszination auszuüben (Aber Achtung, es könnte die Loneliness of a Tower Crane Driver draus werden, aber gut, schon wieder falsches Lied.) Werden die kleinen Jungs dann zu Teenagern ändert sich der Berufswunsch häufig: Rockstar soll es sein. Den Jungs dieser Band aus Wiesbaden ist das zumindest ein paar Jährchen lang gelungen, aber der richtig große Durchbruch kam nicht. Was aus ihnen geworden ist, ob Arzt, Anwalt oder doch Müllmann - nichts Genaues weiß man nicht.

Ok, it's not the most glamorous job in the world
You drive around from street to street
And pick up people's dirt
But one time when he came to our house
He looked at me and smiled
Oh man, garbage-truck driver won't you take me for a ride
When I grow up, when I grow up
I'm gonna drive a garbage-truck 


Für dieses Jahr hat es sich damit ausgefoflt. Schön war's.
Ich wünsche Euch allen einen guten Start ins neue Jahr!
Bis 2019, Eure Penjelly 

Sonntag, 16. Dezember 2018

Hauptsache was mit Trompete

Dickbackige Engelchen, die in Hörner pusten, Turmbläser, die von Kirchtürmen blasen. Die Trompete wird häufig mit Weihnachten in Verbindung gebracht. Insofern kommt mein "Mixtape" zur rechten Zeit - zufällig.
So werden nun aber sämtliche Freunde mit diesem Mixtape (das eigentlich eine CD ist) zum Feste beglückt. Ob sie wollen oder nicht. Erste Marktforschungen ergaben Schweppes-Gesichter bei Erwähnung der Trompete, aber ich bin zuversichtlich, Überzeugungsarbeit leisten zu können.

Es gibt wirklich viele schöne Lieder, die von einer Trompeteneinlagen gekennzeichnet sind.
Und wenn man mal drauf achtet... Ihr wißt schon: Trompete everywhere.
Nicht wundern, wenn ich bei Gesprächen plötzlich innehalte und mein Gegenüber vergesse. Wahrscheinlich nehme ich in der Hintergrundmusik ein Stück mit Trompete wahr. Ich bin derzeit etwas überfokussiert. Auch in meinem Kopf klingen die Trompeten, aber während Ohrwürmer sich üblicherweise ihren Weg über eine reflexartige Gesangseinlage bahnen, bleiben die "Ohtrompeten" irgendwie zwischen Hirn und Stimmband hängen und lassen sich schlecht wiedergeben. Pfeifen wäre vielleicht eine Möglichkeit, aber das sollte man niemandem antun, vor allem nicht zum Fest der Liebe.

Nun ja, um das hier mal abzukürzen: Inzwischen habe ich rund 40 (gute) Lieder zusammen, mit allen möglichen Einflüssen: Jazz, Ska, Country, Mariachi... Zu viele Lieder für eine Compilation. Die Auswahl fiel nicht leicht. Geachtet der Vielzahl der Stücke, wird es also eventuell einen Teil 2 geben. Wenn nicht gar eine Reihe - Fortsetzung jedes Jahr zu Weihnachten. Freundschaften wollen gepflegt werden...
Für all jene, die leider keine CD erhalten oder nicht mehr wissen, was eine CD ist (geschweige denn ein Mixtape), habe ich alle Lieder auf Spotify gesammelt. Während bei der CD allerdings auf Stimmigkeit der Auswahl geachtet wurde, sind auf der Spotify-Playlist einfach alle Lieder aneinandergeklatscht worden. Deswegen heißt das Ganze auch:

"Hauptsache was mit Trompeten (something with trumpets)"

Enjoy!

Samstag, 1. Dezember 2018

FOFL4


Bereits am vergangenen Wochenende wurde endlich wieder gefoflt! Es war umwerfend, ebenso wie die Grippe, die mich danach erwischt hat - kein kausaler Zusammenhang, aber  ergo das verpätete Protokoll.

Nochmal zur Erläuterung, da es doch irgendwie komisch klingt: FOFL steht für "Focus On Fine Lyrics". Inzwischen nicht nur ein feststehender Begriff, sondern einer der um verbale, adverbiale und adjektivische Verwendung erweitert wurde. Etwas kann zum Beispiel foflig sein oder foftlesk anmuten. Und es kann rumgefoflt werden.
Nun da FOFL sich auch noch sprachlich etabliert hat, ist es nur eine Frage der Zeit bis die Idee geklaut wird. (Es wäre nicht das erste Mal, dass mir das passiert.) Vielleicht macht FOFL dann als TV-Format Furore, eine Mischung aus "Literarischem Quartett" und "The Voice".
In der Tat wurde bei diesem vierten FOFL auch gesungen. Es gab nämlich als Abschluss ein fofliges Quiz, bei dem es galt, unvollständige Liedzeilen textlich korrekt zu vervollständigen. Was einfacher gelingt, wenn man den Text vor sich her singt - sofern man das Lied erkannt hat. Abgesehen davon wurde als unterhaltsamer Einschub eine thematisch passende, also fofleske Hörbuchszene von Marc-Uwe Kling vorgestellt: Come with me. Ich fühlte mich seelenverwandt.

Aber nun zum eigentlichen FOFL. Dies waren die von den Teilnehmern ausgewählten Titel:

Badge - Cream (Eric Clapton/George Harrison, 1973)
Völlig umsonst haben wir versucht, hinter die Bedeutung dieses Textes und seines Titels zu kommen. Wir assoziierten zwar Drogen, Eheprobleme und sogar Dachse, was nicht so weit hergeholt ist, wenn man die Lebensgeschichte der beiden Songwriter betrachtet (von den Dachsen mal abgesehen). Jegliches Interpretieren ist allerdings in diesem Fall vergebene Liebesmüh. Der Text soll gar keinen Sinn machen und besteht aus Gesprächsfetzen, die ans trunkene Ohr der Verfasser gelangten. Der Titel entstand zudem durch einen "Verleser" (sollte eigentlich Bridge heißen). Hätten wir das auch geklärt.
 
I told you not to wander 'round in the dark. 
I told you 'bout the swans, that they live in the park.
 Then I told you 'bout our kid, now he's married to mabel.
Yes, I told you that the light goes up and down.
Don't you notice how the wheel goes 'round?

Broken - Jake Bugg (2012)
Ebenfalls teilweise verwirrend ist der Text dieses Liedes. Es gibt einige Theorien zum Hintergrund, der Selbstmord einer Freundin, das Verlassenwerden von der großen Liebe... Laut Jake war es eine ganze Sequenz einschneidender Ereignisse. Er hat seinem Schmerz sowohl an der Gitarre als auch wörtlich freien Lauf gelassen und m
an muss den Hintergrund des Liedes nicht kennen, man versteht das Gefühl. Ein sehr berührendes Lied, ausgewählt, weil es in erstaunlich jungem Alter geschrieben wurde (Jake war 19) und man das tiefe Empfinden spüren kann, das die Jugend so leicht in der Lage ist, hervorzubringen und das so oft verloren geht.
Zur Info: Rick Rubin hat sich der Sache angenommen und dem Lied Schliff verpasst, bevor es als Single ausgekoppelt wurde. Die Album-Version ist jedoch echter, packender, besser.

I'll wait here  for you
For I'm broken down
Coming down this time
For my heart lies
Far and away where they took you down
Led them over to your house
Where I'm broken 

Big yellow taxi - Joni Mitchell (1970)
Nach zwei kuriosen Texten war dieser eine Erleichterung. Ganz unkryptisch. Klare Ansagen zu Umweltanliegen. So aktuell, dass es fast überrascht, dass die Zeilen bereits 1970 geschrieben wurden. So klar, dass wir gar nicht tiefergehend diskutiert haben, auch nicht über den Titel, der dann doch Potential hat, kryptisch zu sein (Taxi muss nicht gleich Taxi bedeuten...). Stattdessen sprachen wir über Coverversionen, die es zahlreich gibt. Das Original ist aber auch hier die sympathischere Variante, nicht zuletzt wegen Jonis high pitch/low pitch am Ende des Songs.
Hey farmer farmer
put away that DDT now
give me spots an my apples
but leave me the birds and the bees please
Don't it always seem to go
that you don't know what you've got till it's gone
They paved paradise and put up a parking lot

Regulate - Warren G. feat. Nate Dogg (1994)
Dramatische Szenen spielen sich hier ab! Zwei Jungs wollen sich nachts in der Stadt treffen, um ein paar skirts klar zu machen. Doch bevor das gelingt und man ins Eastside Motel verschwinden kann, muss der eine homey (Nate Dogg) dem anderen homey (G-child) aus der Patsche helfen. Die besteht darin, daß Warren G. abgerippt wird. Der Moment wird mit einer Tragik in der Stimme geschildert, dass es ganz klar Selbstironie sein muss. Sein müßte... Die FOFL-Teilnehmerinnen fanden übrigens, daß Nate Dogg seiner Stimme nach gutaussehend sein muss. Sein müßte. Well...
I'm getting jacked, I'm breaking myself

I can't believe they're taking Warren's wealth
They took my rings, they took my rolex
I looked at the brothas and said "damn, what's next?"

Baba O'Riley - The Who (1971)
Erneut ein sehr undurchsichtiger Text. Ein Bild von armen Baumwollpflückern trat vor unser geistiges Auge. Oder sind wir doch in Irland? Schließlich ist da ein O' Riley im Titel. Aber Baba klingt orientalisch... Auch Bibelassoziationen gab es (Lots Frau...). Alles falsch. Wieder in die Irre geführt worden. Denn der Text ergibt deshalb keinen Sinn, weil er eigentlich Teil eins größeren Ganzen ist, einer Rockoper, die nie verwirklicht wurde. "Baba O'Riley" ist ein Überbleibsel, aus dem Kontext gerissen. Der Titel eine Kombination aus den Namen zweier Männer die Pete Townsend inspirierten (Baba spirituell, Riley musikalisch).
Ich hatte immerhin die Erkenntnis, dass das Lied einen anderen Titel hat als - wie gedacht - "Teenage Wasteland"!
Travel south across  land
put out the fire
don't look past my shoulder
the exodus is near
let's get together
before we get much older
Teenage wasteland

Mir wär lieber Du weinst - AnnenMayKantereit (2016)
Das zweite Lied zum Thema "Adoleszenz musiziert". Bei den Mittzwanzigern geht es nicht um den Schmerz des Verlassenwerdens, sondern um den des Verlassens, das einem nicht leicht fällt und nicht leicht gemacht wird. Durch das Wiederholen bestimmter Zeilen wird das Sich-Winden unterstrichen. Das Lied ist nicht so bewegend wie Buggs Broken, dafür aber mit schöner Intertextualität. Zitiert wird niemand geringerer als Rio Reiser mit "Für immer und Dich". Der war allerdings bereits 36, als er das Lied schrieb.
Und ich will nicht mehr wissen, wo du pennst
Ich will nicht mehr wissen, wie du mich nennst
Ich will nicht mehr wissen, dass du mich so gut kennst
Ich versteh doch eh nicht was du meinst.
Und du versprichst mir ein Versprechen, nur um mich zu unterbrechen
Mir wär lieber Du weinst, mir wär lieber du weinst...

This must be the place (naive melody) - Talking Heads (1983) 
Zum Abschluss, nach all dem Schmerz der Welt und Umwelt und nach all den Fragezeichen, ein leichtes, positives Lied. Liebe, Liebe machen, tiefe Zufriedenheit, Ankommen. Fast zu schön um wahr zu sein. Ist es naiv, an so etwas zu glauben? Vielleicht hat das Lied deshalb so eine unschuldige Melodie und sogar den Beinamen "naive melody". Dennoch ist es bei weitem kein kitschiges, sondern ein solides Liebeslied. Mit diesem hoffnungsvollen Stück wurde das vierte FOFL beschlossen. 
Home, is where I want to be 
But I guess I'm already there
I come home, she lifted up her wings
I guess that this must be the place
I can't tell one from the other
I find you, or you find me?


Wenn alles gut geht wird es noch ein Jahresend-FOFL geben. Juhu und bis dann.

Montag, 22. Oktober 2018

Herrliche Bäume, selbstverherrlichende Bilder und vorherrschende Ohrwürmer


Eigentlich hätte am vergangenen Samstag das quartalsmäßig stattfindende FOFL begangen werden sollen, aber es kamen leider weiterbildende Tätigkeiten diverser Art und Teilnehmer dazwischen. Dabei ist FOFL natürlich auch weiterbildend und deshalb gilt: Aufgeschoben ist nicht auf aufgehoben. Es wird dieses Jahr auf jeden Fall noch ein FOFL geben, vielleicht sogar zwei (inklusive Winter/Weihnachts-Special). Stay tuned.

Erst einmal aber gilt es diesen schönen goldenen und milden Herbst zu genießen, solange er anhält. Die Farben verleiten mich permanent dazu, sie fotografisch festzuhalten. Aber mit leuchtendem Herbst ist es wie mit Sonnenuntergängen. Es sind beides Ereignisse deren Stimmung im Bild nur eingeschränkt vermittelt werden kann. Die Bilder sind schön, entlocken uns vielleicht sogar Ahs und Ohs, aber sie haben leider auch ein hohes Maß an Austauschbarkeit. Die meisten nutzen sich schnell ab und werden nur kurz konsumiert (Ah, Oh und weg). Glücklicherweise gilt das nur für das Abbild, nicht für das Ereignis selbst.

Hinsichtlich Sonnenuntergänge und Herbstfarben empfiehlt sich einerseits: Lieber genießen, anstatt zu fotografieren. Denn das Abbild, für dessen Anfertigung man das Ereignis oft halb verpaßt, schaut man hinterher kaum noch an. Das Abbild ist nur der bedingt erfolgreiche Versuch, die Schönheit zu konservieren. Könnte man sich eigentlich schenken. Aber andererseits:

Diese Farbenpracht verdient Anerkennung! Man sollte so einem Baum auch zeigen, dass er toll aussieht in seinem rotglühenden Blätterkleid. Das goldene Laub, das sich um den Baumstamm ins noch grüne Gras legt und zu den an den Ästen sich noch haltenden, leuchtenden Geschwistern emporblickt, sollte mit einem Schnappschuss wertgeschätzt werden. Auch das bunte Laub auf dem grauen Asphalt darf für seine Kontraste bewundert und abgelichtet werden.
Ich jedenfalls wünschte, die Kamera würde öfter zur Anerkennung von herbstlicher Schönheit statt zur Selbstdarstellung verwendet werden.
Indian Summer statt Influencer. Stimmung statt Selfies. Kastanien statt Kommentare. Laub statt Likes. Foliage statt Follower. (Wenn Ihr meine Herbstbilder sehen wollt, folgt mir auf Instagram!!)

Lange Rede, gar kein Sinn. Zurück zum FOFL.
Der eigene Soundtrack im Kopf läßt sich bekanntlich nicht immer steuern. So viele poetische Liedzeilen gibt es, so viele schöne Melodien dazu. Und was habe ich bei all der anerkennend wahrgenommenen und abgebildeten Herbststimmung im Kopf?

"Fallen leaves" von Billy Talent.
Es mag Schlimmeres geben (gibt es eigentlich fast immer), aber das Lied ist weder besonders poetisch, noch besonders melodiös. Noch dazu ist der Liedtext nicht einmal wirklich herbstlich, sondern nur metaphorisch. Es hat aber diesen sehr repetitiven Refrain:

Fallen leaves
fallen leaves
fallen leaves
on the ground

Der sich natürlich genau aufgrund seiner Einfachheit so schön im Kopf festsetzt. Ob man will oder nicht.
Kurzzeitige Erfolge im Kampf mit meinem auditorischen Cortex konnte ich mit den Queens of the Stone Age erzielen ("Fallen leaves realize they are no friend of autumn"). Aber die Melodie war zu komplex und die Vorherrschaft schnell wieder vorbei. Sobald ich nun raschelnd durch Herbstlaub schreite, schreit mich Billy Talent wieder an. Es ist zum Schreien.
Damit ich nicht erst erlöst werde wenn "der Winter naht", durch die Titelmelodie von Game of Thrones oder durch Bing Crosby, bitte ich um Anregung. Vorschläge zum Kompilieren eines Herbst-Soundtracks werden dankbar entgegen genommen.

 (moodboard)

Samstag, 8. September 2018

Archivbashingszene 6

Ich mag Saul. Er ist windig, aber ethisch in all seinem Unethischsein. Er ist ein Hochstapler, aber auf seine eigene robinhoodeske Weise. Er besitzt enorme Menschenkenntnis und nutzt diese mehr als geschickt aus. Seine rhetorischen Fähigkeiten übertreffen noch seine manipulativen (und umgekehrt, das eine geht nicht ohne das andere). Er ist treu, wenn auch nicht immer gesetzestreu. Er handelt unorthodox und improvisiert wenn’s drauf ankommt. Er ist ein bisschen der MacGyver unter den Anwälten, allerdings nicht so umsichtig. Seine Zündsätze verbrennen schon mal ihm oder Leuten in seinem Umfeld die Finger.
Und wenn das passiert, was ist dann wohl die Strafe? 

In Staffel 2 produziert Jimmy McGill (Saul) ohne Absprache mit seinen Vorgesetzten einen wunderlichen TV-Spot für die Kanzlei. Seine Freundin Kim, die sich für ihn verbürgt hat und der Saul den ein oder anderen Fakt verschwiegen hat, wird nicht nur von ihm enttäuscht, sondern auch im Zuge der Angelegenheit durch ihren Arbeitgeber degradiert.Mitgehangen, mitgefangen. Ab in den Keller, ab ins Archiv.
 
Die räumliche Darstellung des Archivs ist nicht zu beanstanden. Auch besteht Kims Strafe nicht wirklich in Archivarbeit, sondern in schlichter Dokumentenprüfung. Die eigentliche Verunglimpfung des Archivs erfolgt durch Sauls Reaktion auf Kims neuen Arbeitsplatz. Er erzürnt sich, als hätte man sie in einen Gulag geschickt. Er empört sich ob der Unangemessenheit der Strafe. Heldenhaft will er sich für sie einsetzen und sie befreien.

Aber Saul ist eben ein Antiheld. Er ist mitreißend, meistens nach unten. Man weiß nicht, ob man sich wünschen soll, ihn zum Freund zu haben. Man könnte ihm Archiv landen. Da das für mich keine Bedrohung darstellt, tausche ich gerne meinen Helden von vor 30 Jahren (MacGyver!) gegen diesen liebenswerten Schwindler. Trotz seiner offensichtlichen Meinung über Archive. Und wer ist schon Richard Dean Anderson im Vergleich zum fabelhaften Bob Odenkirk?
Better call Saul!
.
.

Sonntag, 26. August 2018

Archivbashingszene 5

Ein wortwörtlich zu nehmendes Archivbashing gibt es in dem Film Illuminati (Angels & Demons). Tom Hanks alias Robert Langdon schießt erst um sich und verwüstet schließlich einen Teil der Geheimarchive des Vatikans.

Ich hatte zwar aus Gründen von Platzmangel auch ab und an mal den Gedanken ans Feuerzeug. Eine Art Bücherverbrennung wäre jedoch Häresie im Hinblick auf die Archivarsberufung und wenn ich dabei noch selbst dran glauben müsste (ha ha), wäre das fast ein Auto-Autodafé. Wobei letztendlich nicht das Feuer, sondern die Löschung desselben das Unangenehme wäre.

Denn wie bereits erwähnt: Feuer im Archiv > Türen schließen automatisch > Argonlöschgas übernimmt > qualvolles Ableben. Feuerzeug ist also keine gute Idee. 
Robert Langdon allerdings randaliert im Archiv aus besserem Grund. Er ist darin gefangen und die Luft wird knapp…

Illuminati wurde selbstverständlich nicht in den echten Geheimarchiven des Vatikans gedreht. Es wurde überhaupt nicht im Vatikan gedreht, denn dort war man der Ansicht, der Film sei "ein Verstoß gegen Gott" und man verweigerte deshalb die Dreharbeiten sowohl im Vatikan als auch in den katholischen Kirchen Roms. Es wurde für den Film alles computergeneriert oder nachgebaut.
In welchem echten Archivumfeld das Filmteam um Regisseur Ron Howard gedreht hat oder nach welchen Ideen sie das im Film zu sehende vatikanische Archiv rekonstruiert haben, dazu lässt sich leider nichts finden. Zwar stehen die Archive des Vatikans zumindest teilweise bestimmten Forschern offen, aber es ist nicht anzunehmen, dass diese als Informanten dienten. Gäbe es tatsächlich jene luftdichten Archiv-Kammern mit Unterdruck, deren Betreten im Film als lebensgefährlich dargestellt wird, kämen die Nutzer da ohnehin nicht rein. Die bleiben im Leseraum.


Es wurde bei der Rekonstruktion des Archivs vielmehr reichlich übertrieben.
Die im Film zu sehenden, versiegelten Archiv-Kammern befinden sich in einem "Teilvakuum", d.h. sie haben niedrigen Luftdruck. Sowas kommt in wissenschaftlichen Laboratorien zum Einsatz, bei denen das Ziel darin besteht, das Austreten von Schadstoffen zu verhindern, da der niedrige Druck einen konstanten Luftstrom in den Raum sicherstellt, den nach außen aber nur kontrolliert ableitet. In Archiven kommt sowas nicht zum Einsatz. Da ist eher verunreinigte Außenluft das Problem.


Während Robert Langdon in einer anderen Szene noch, wie es sich gehört, mit weißen Archivhandschuhen arbeitet und entsetzt über den vandalistischen Einsatz seiner Mitstreiterin reagiert, lässt er in der Archivbashingszene keine Zurückhaltung mehr erkennen. Er versucht mit allen Mitteln, aus dem unwirtlichen Hightech-Archivraum zu gelangen und es ist nachvollziehbar, dass sein Augenmerk dabei nicht darauf liegt, die Dokumente zu schonen. Ein bisschen weh tut einem der Anblick des notgedrungenen Wütens dennoch: