Dienstag, 10. April 2018

Du sollst mich kennenlernen!


Ich werde verfolgt, von Philip Larkin und Laurence Sterne. Gleichzeitig.

Beide kannte ich vor wenigen Wochen noch nicht und genaugenommen kenne ich sie auch jetzt noch nicht. Aber inzwischen sind mir ihre Namen zumindest ein Begriff. Weil Begriffe, die einem vor kurzem noch keine waren, nach ihrer Inititialisierung häufig plötzlich überall auftauchen, als wollten sie sagen „Du sollst mich kennenlernen!“

Neulich fragte mich ein Freund, der so wirklich gar nichts mit Literatur am Hut hat, ob ich „Tristram Shandy“ kennen würde. Er hatte ein Hörspiel im Radio gehört, also einen kleinen Teil davon, und weil er weiß, dass ich mich sehr wohl für Literatur interessiere, fragte er mich danach. Aber ein Interesse für Literatur gleicht dem Interesse an Kieselsteinen. Die Vielfalt und die Menge sind jenseits der numerischen Erfassung und die meisten Kieselsteine dieser Erde wird man nie zu Gesicht bekommen. Etwa einen gleich großen Anteil der verfügbaren Literatur werde ich nicht lesen können. Eine bedauerliche Erkenntnis, aber immerhin kann man bei Literatur wählen, was man näher betrachtet, Kieselsteine fallen einem mehr oder weniger willkürlich vor die Füße. Und manchmal fällt einem auch Literatur vor die Füße.
Mit der Frage meines Freundes fiel mir Laurence Sterne, der Autor von „The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman.“ (1759) vor die Füße. Also las ich in ein bisschen über ihn nach und da ich für mein Alter schon recht vergesslich bin, hätte es hier enden können.
Aber dann tauchte Sternes „Tristram Shandy“ wenige Tage später in einem Artikel über ein anderes Buch auf, mit dem ich mich gerade beschäftig hatte (David Foster Wallaces' "Infinite Jest"), aufgrund des ihnen gemeinsamen Formenexperiments. Wieder wenige Tage später erhielt ich eine Mail von einem völlig Fremden, der doch tatsächlich Laurence Sterne zitierte. Es war eine Rundmail an die Mitglieder einer Gesellschaft, der ich angehöre und das Zitat lautete: "Durch Lächeln und noch mehr durch Lachen wird die kurze Spanne des Lebens verlängert."
Und gelächelt habe ich, als ich erneut wenige Tage später während des Duschens zufällig den zweiten Teil des Hörspiels, das mein Freund erwähnt hatte, im Radio hörte.

Parallel dazu dockte Philip Larkin an. Zunächst wurde sein Gedicht „This be the verse“ (1971) im Book Club zitiert, als wir über das in "My name is Lucy Barton" thematisierte Mutter-Tochter-Verhältnis sprachen.
Ich mag das Gedicht. Dennoch hätte ich Philip Larkin wahrscheinlich wieder vergessen, wäre auch er nicht unnachgiebig wieder und wieder aufgetaucht. Ich hatte meiner Schwester ein Hörbuch von Nora Ephron geschenkt: „Ich kann mir alles merken, nur nicht mehr so lange“. Ich hatte es nur wegen des Titels besorgt, denn meine Schwester ist genauso vergesslich wie ich, es muss in der Familie liegen. Wir hörten es im Urlaub und darin wurde Philip Larkin erwähnt, wenn auch nur ganz nebenbei.
Außerdem stolperte ich in einem Laden über eine Jazz-Compilation mit dem Titel „Larkin’s Jazz“, die, wie ich erfuhr, seinem Buch „All what Jazz“ folgend erstellt worden war. (Beides, CD und Buch, stehen nun auf meiner Liste interessanter, noch zu erschließender Dinge.) Und schließlich beglückte mich das ungeahnte Informationsteilchen, dass David Bowie eben jenes oben genannte Gedicht von Larkin mehrfach rezitiert habe, weil es zu seinen Favoriten gehörte. Ich kramte Bowies Liste der 100 Bücher, die man seiner Meinung nach gelesen haben sollte, hervor und rechnete fest damit, Laurence Sternes Werk darauf zu finden. Als müsse sich irgendwie der Kreis schließen. Aber nein, kein „Tristram Shandy“.

Es ließ mir keine Ruhe, ich wollte eine Verbindung zwischen den zwei neuen Elementen in meinem Orbit herstellen, schon allein, weil es die Wahrscheinlichkeit verringerte, dass ich sie vergessen würde und sie meinen Orbit wieder verließen. Ich recherchierte - und wurde fündig.
Eine Verbindung besteht in der Eröffnung von „Tristram Shandy“ und den Eröffnungszeilen von Philip Larkins Gedicht.

Tristram Shandy beklagt sich, weil seine Eltern im Moment seiner Empfängnis an etwas anderes gedacht haben. Irgendwie waren sie wohl nicht ganz bei der Sache und Tristram befürchtet, dass in der Folge sein ganzes Leben abgefuckt ist:


I wish either my father nor my mother, or indeed both of them, as they were
in duty both equally bound to it, had minded what they were about when
they begot me; had they duly consider'd how much depended upon what
they were then doing; -that not only the production of a rational Being was
concern'd in it, but that possibly the happy formation and temperature of
his body, perhaps his genius and the very cast of his mind;- and, for aught
they knew to the contrary, even the fortunes of his whole house might take
their turn from the humours and dispositions which were then uppermost:
Had they duly weighed and considered all this, and proceeded
accordingly, -I am verily persuaded I should have made a quite different
figure in the world, from that, in which the reader is likely to see me.

Die Zeilen von Philip Larkins Gedicht klingen wie eine Kurzfassung davon:


They fuck you up, your mum and dad.
They may not mean to, but they do.  
They fill you with the faults they had
And add some extra, just for you.

Da ich nicht daran glaube, dass diese Verbindung bedeutungsschwanger oder gar die einzige wäre, nehme ich das jetzt einfach als interessante Parallele und hübschen Zufall so an. Die beiden Herren haben mit ihrer willkommenen Aufdringlichkeit erreicht was sie wollten: Ich habe sie kennengelernt, wenigstens ein kleines bisschen. Ich hoffe, sie verweilen noch ein Weilchen in meinem Orbit.

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