Mittwoch, 9. Mai 2018

Vöner / Big Data, little sense


Als berufene Dokumentarin bin ich zwar eine Befürworterin der lückenlosen Dokumentation.  Das Verhältnis zwischen der Menge an fotografischer Dokumentation und der Sinnhaftigkeit derselben ist aber an irgendeinem Punkt gekippt. Zu viel Produkt, zu wenig Sinn. Ich nehme mal an, diese Empfindung ist das Fazit eines Zusammenspiels aus:
-    zu vielen (zeit)geistlosen Fotos von zu vielen fotografierenden Menschen
-    Alter und dem Gefühl von Wiederholung, welches das Alter mit sich bringt
-    dem Eingeständnis, dass man sich die wenigsten seiner Bilder nochmal ansieht


Gerade habe ich ein paar Tage in Berlin verbracht und die Kamera nicht mal mehr mitgenommen, wenn ich durch die Stadt lief. Vielmehr verspürte ich Lust, mich irgendwo hin zu setzen und Szenen zu zeichnen. Was ich nicht getan habe, weil ich so viel anderes vorhatte (und eine lausige Zeichnerin bin). Aber das Ganze sagt mir: Es ist die Intensität, die ich vermisse. Und die Austauschbarkeit, die mir auf die Nerven geht.
Statt lückenloser Dokumentation herrscht Redundanz; fast alle knipsen das Gleiche, wenig hebt sich ab. Muss es ja auch nicht unbedingt. Ich fotografiere immer noch gern, einfach um des Fotografierens willen. Ja, ich flickre und instagramme auch bisweilen. Aber nicht mehr mit Verve.
4786 Bilder habe ich in den letzten 12 Jahren auf Flickr veröffentlich, wirklich interessant sind davon vielleicht 30. Da ist mir wenige Male ein Abbild vom Zeitgeist gelungen.
Bin ja selbst schuld, zwingt mich ja keiner, dummes Zeug zu fotografieren.  Es  gilt zu bedenken, ob das, was man gerade im Begriff ist zu fotografieren, es wirklich wert ist, festgehalten zu werden. Wie zu Zeiten der analogen Fotografie, als Filme teuer waren und jedes Bild gut überlegt. (Oder einfach einzigartiger, weil nicht stumpf von zig anderen drauf gehalten wurde.) Es gilt, weniger Plakatives festzuhalten, sondern mehr Zeitgeist zu erwischen.


Beim Streifzug durch Friedrichshain etwa wäre Gelegenheit gewesen. Um mich herum war alles so vegan und so vielfältig, so fair und so nachhaltig. In den Unmengen individuellen, kleinen Cafés Barrista-Einrichtungen, wo das Kaffeebrauen zelebriert wird und es keinen Kuchen, sondern höchsten Mal eine Keks als Begleitung zum Kaffee gibt, kann man wählen zwischen mindestens fünf verschiedenen Milchsorten: Hafer, Mandel, Laktosefrei, Soya und normal.  Die Kaffeesorten kann ich gar nicht alle aufzählen. In den Boutiquen Concept-Stores gibt es fair hergestellte Mode, BPA-freie Trinkflaschen und aus Plastikmüll gefertigte Souvenirs. In den Imbissen Food halls gibt es alles in vegetarisch oder vegan und sogar in einfallsreich, dazu jede Menge lokales Craft-Beer und regionalen Gin.


Klingt das spöttisch? So meine ich es nicht. Mir sagt das alles zu. Laktosefrei, super. Gurkeneis, lecker. Am besten mit einem Gin dazu. Nicht von Kinderhänden in unsicheren Textilfabriken genähte Klamotten, so soll es sein. Variantenreich fleischlos, gerne. BPA-freie Trinkflasche hab ich längst.
Ich erwähne es, weil dieser Zeitgeist leider wieder verschwinden wird. Vielleicht alles nur ein Trend und in wenigen Jahren ist der Vöner-Laden weg (kein Tippfehler: veganer Döner) und erfolgt nicht die anklingende Wende zum bewußteren Fleischverzehr. Vielleicht ist der Nachhaltigkeitstrend nicht nachhaltig und die fair clothing-Händler müssen mangels Umsatz schließen. Vielleicht hat auch einfach ganz antithetisch "fair" irgendwann keinen guten Ruf mehr, so wie die Gutmenschen.


Vielleicht hätte ich eine Bilderserie machen sollen. Weil es das Flüchtige ist, was sich festzuhalten lohnt. (Warum es nebenbei bemerkt auch Spaß macht und sinnvoll ist, Streetart zu fotografieren.) Leider spürte ich den Fhainer Zeitgeist erst bei rückblickender Überlegung, da war‘s zu spät und ich schon wieder in Mitte. Aber was man nicht fotografiert, um es zu bewahren, muss man eben ausnahmsweise mal in Erinnerung behalten. Oder aufschreiben.




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