Montag, 5. August 2019

Archivbashingszene 8

Orange Is The New Black is back.

Kurzer Exkurs für jene, welche die Serie nicht kennen (alle anderen dürfen diesen Absatz gerne überspringen): Die Frauengefängnis-Serie behandelt auf tragikomische Weise Machtmissbrauch, Drogenmissbrauch und weitere unschöne Formen von Missbrauch, Rassismus und Klassismus, Homophobie und Fanatismus. Sie thematisiert nicht nur die Schwierigkeiten des Strafvollzugs, sondern beleuchtet auch die Einzelschicksale der Frauen vor und während ihrer Haft.
Produzentin Jenji Kohan wußte, sie würde nie die Geschichten von Latinos, Schwarzen, Alten und Kranken im Gefängnis erzählen bzw. verkaufen können. Aber man nehme eine Weiße aus der amerikanischen Mittelschicht, die aufgrund einer fast verjährten Dummheit in den Knast muss, und schon kann man um diesen Anker herum alle anderen Geschichten einflechten und doch an den Mann bzw. die Frau bringen. Piper Chapman ist der Anker und ihre Geschichte ist angelehnt an die realen Erlebnisse von Piper Kerman, die über ihre einjährige Hafterfahrung ein Buch geschrieben hat. Es ist plausibel, dass die Geschichten der anderen Insassinnen von OITNB nicht weniger reale Elemente enthalten dürften.

Von allen Storylines ist Pipers eigentlich eine der eher weniger interessanten. Und das gilt besonders für die gerade erschienene siebte und letzte Staffel. Das vormals reiche, verwöhnte Mädchen muss nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis bei Null anfangen. Zu dem Umstand, dass man als ehemaliger Häftling nicht gerade zum beliebtesten Teil der Gesellschaft gehört und kaum irgendwo willkommen ist, gesellen sich hinderliche Bewährungsauflagen: Kein Alkohol und Ausgangssperre ab elf Uhr abends, kein Pot und regelmäßige Urintests, Jobverpflichtung mit Einschränkung (nirgends wo Alkohol ausgeschenkt wird). Wie soll man sich da in die Gesellschaft integrieren?


Das alles sind natürlich Luxusprobleme verglichen mit den Schwierigkeiten, mit denen sich die anderen Charaktere der Serie konfrontiert sehen: Abschiebung, Unterdrückung, Erpressung, physische Gewalt und der harte Gefängnisalltag im Allgemeinen. Insofern gehört die Archivbashingszene nicht nur zur am wenigsten interessanten Storyline, sondern auch innerhalb dieser Storyline sogar noch zu den weniger interessanten Themen.

Sie soll trotzdem aufgenommen werden ins Archivbashingszenenarchiv, denn das Fade an ihr unterstreicht ja im Grunde zusätzlich das klassische Schema von Archivbashing: Die Arbeit im natürlich langweiligen Archiv (es ist eher ein Aktenlager, kein ordentliches Archiv, aber: geschenkt) wird als Strafmaßnahme eingesetzt.

Es ist anzunehmen, dass man für die Schilderung des steinigen Weges eines Ex-Häftlings auf Bewährung etwas wirklich Hartes gesucht hat. Etwas, das trotz wiedergewonnener Freiheit dem Gefängnis irgendwie am nächsten kommt...

Zur Szene:
Um wieder auf die Füße zu kommen, bettelt Piper bei Ihrem Vater um einen Job in dessen Büro, egal wie dröge. Und das Einzige, was dem Vater einfällt, ist: Er würde gerne sämtliche Akten des Archivs digitalisiert haben. Also, ab zu den Archivkartons und Wurzeln schlagen vor dem Scanner.
Der Vater hat noch seine eigenen pädagogischen Ansprüche, was den "Vollzug" seiner Tochter angeht. Die Verbüßung ihrer Haftstrafe genügt ihm nicht als Wiedergutmachung für seine persönliche Enttäuschung. Deswegen achtet er besonders darauf, es ihr nicht einfach zu machen. Sie bekommt nicht frei, um die Besuchszeiten bei ihrer Frau (noch im Knast) wahrzunehmen, darf beim Scannen keine Musik hören, sondern soll sich konzentrieren und jeden noch so kleinen Lapsus sieht er als Beweis für ihre Unverantwortlichkeit.

Nicht, dass Piper nicht oft unverantwortlich handeln würde, aber mangelnde Gewissenhaftigkeit bei der eintönigen Arbeit kann man ihr eigentlich nicht vorwerfen. Sie ist bemüht. Aber letztendlich bricht sie dann doch zusammen - neben dem Scanner, mit gestohlenem Kuchen und einer Flasche Tequila. Da haben wir sie wieder: Die Assoziation von grauem Archivalltag und Alkoholismus.
(An dieser Stelle setzt gerade eine beunruhigende Selbstreflexion ein.)

Grey Is The New Orange.


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