Freitag, 18. Mai 2018

Archivbashingszenenarchiv


Falls die filmische Darstellung von Archivarbeit noch niemandem besonders aufgefallen ist, sollte ich vielleicht nicht noch die Aufmerksam darauf lenken, denn die Archivarbeit kommt nicht gut weg dabei. Andererseits können Archivare jede Form der Aufmerksamkeit gebrauchen. Und ich muss meine Berufsehre verteidigen.
Der Beruf des Archivars klingt für die meisten Menschen dröge, das ist nicht neu. Es herrscht eine Vorstellung von unauffälligen, introvertierten Menschen in staubigen Kellerräumen, die akribisch und ohne viel Aufregung vor sich hinarbeiten, die in alten Dokumenten wühlen, schüchtern sind und die Farbe Granitgrau mögen. Zumindest in Bezug auf mich ist das falsch. Denn in meinem Archiv ist es nicht staubig und ich habe ein helles Büro. Und ich wühle nicht, ich forsche. (Sonst stimmt eigentlich alles.)

Man mag auch meinen, dass der Archivalltag sich nicht für Smalltalk auf Partys eignet. Das stimmt weitestgehend (ich habe schon erlebt, dass Leute sich einfach desinteressiert von mir weggedreht haben, nachdem sie meinen Beruf erfragt hatten). Allerdings haben mein Lieblingskollege und ich diese Annahme einst widerlegt, als wir mit zu viel Bockbier intus ausriefen:
„Wir sammeln Informationen, alles landet letztendlich bei uns. Wissen ist Macht!“
„Was wir alles zu Gesicht bekommen. Uns bleibt nichts verborgen! Aber darüber dürfen wir natürlich nicht sprechen…“
Man sah uns plötzlich mit ganz anderen Augen, fast umwehte uns ein Hauch von Geheimdienst.


In Serien und Filmen begegnet mir regelmäßig eine andere, nämlich folgende Darstellung des Archivalltags:
Irgendwelche Helden vermasseln eine Aktion und werden zur Strafe zu sogenannten „niederen Arbeiten“ ins Archiv versetzt. Da sitzen sie dann ohne Tageslicht auf heißen Kohlen, weil sie wieder zurück ins aufregende, abenteuerliche Leben an die Oberfläche wollen, sich im Archiv langweilen, denn es gibt natürlich nichts zu tun, und sie haben sowieso viel mehr drauf als mit Akten zu jonglieren.


Die Wahrheit ist:
Keine dieser Figuren wäre der wirklichen Archivarbeit gewachsen. Keine dieser Figuren würde ein Archivar im Archiv haben wollen. Nicht die Helden werden bestraft, sondern die Archivare, zu denen diese Typen geschickt werden. Allerdings bekommt man die eigentlichen Archivare in Serien oder Filmen so gut wie nie zu Gesicht.

Schon seit längerem reift deshalb in mir der Plan, diese Klischeehaftigkeit der Serien- und Filmemacher bezüglich der Archivarbeit in einer Szenen-Kompilation vorzuführen - quasi ein Archivszenen-Archiv aufzubauen. Allerdings reift der Plan noch nicht lange genug, als dass ich mir bereits von jeher beim Schauen Notizen gemacht hätte. Was mich nun in das Dilemma bringt, dass ich diese ganzen gesehenen Archiv-Bashing-Szenen nicht mehr zusammenkriege…


Und auch wenn ich gerade den Teil mit der detektivischen Arbeit an meinem Beruf am allerbesten finde, ist die Aussicht, für die Umsetzung des Plans den ganzen Stoff, aus dem meine "Archivszenen-Archiv"-Träume sein könnten, noch einmal ansehen zu müssen, nicht so berauschend. Hat man doch ohnehin zu wenig Zeit, all die interessanten Serien und Filme zu schauen.
Aufgeben werde ich die Idee zwar nicht, aber ich werde Zeit brauchen - und Unterstützung.
Falls Euch also spontan so eine gemeine filmische Darstellung meines Berufszweiges einfällt oder Ihr beim künftigen Schauen über eine solche stolpert, bitte informiert mich und helft mit, meine Sammlung zu erweitern.

Eine meiner Lieblingsszenen möchte ich hier schon mal nennen. Sie ist aus Folge 8 (The Heap) der ersten Staffel von Fargo


Darin werden zwei FBI-Agenten vom Chef persönlich mit dem Aufzug weit nach unten gefahren und im Untergeschoss durch dunkle Flure zu einer Tür gebracht. Durch diese schickt er sie mit den Worten "Hier arbeiten Sie von nun an." Die Verzweiflung steht den beiden ins Gesicht geschrieben, die Tür fällt hinter ihnen zu. Sie sind im Archiv. Sie sind am Ende. Nein, nicht ganz. Es hätte schlimmer kommen können, meint einer von ihnen, immerhin seien sie noch am Leben.
Ja, sag ich mir auch täglich, so ist er, der Archivalltag...

Ich darf die Szene leider nicht abfilmen und zeigen. Einen Teil sieht man hier (ab 0:33).
Es empfiehlt sich natürlich, sich Fargo in Gänze anzusehen. 

Fargo, S1E8, The Heap


Mittwoch, 9. Mai 2018

Vöner / Big Data, little sense


Als berufene Dokumentarin bin ich zwar eine Befürworterin der lückenlosen Dokumentation.  Das Verhältnis zwischen der Menge an fotografischer Dokumentation und der Sinnhaftigkeit derselben ist aber an irgendeinem Punkt gekippt. Zu viel Produkt, zu wenig Sinn. Ich nehme mal an, diese Empfindung ist das Fazit eines Zusammenspiels aus:
-    zu vielen (zeit)geistlosen Fotos von zu vielen fotografierenden Menschen
-    Alter und dem Gefühl von Wiederholung, welches das Alter mit sich bringt
-    dem Eingeständnis, dass man sich die wenigsten seiner Bilder nochmal ansieht


Gerade habe ich ein paar Tage in Berlin verbracht und die Kamera nicht mal mehr mitgenommen, wenn ich durch die Stadt lief. Vielmehr verspürte ich Lust, mich irgendwo hin zu setzen und Szenen zu zeichnen. Was ich nicht getan habe, weil ich so viel anderes vorhatte (und eine lausige Zeichnerin bin). Aber das Ganze sagt mir: Es ist die Intensität, die ich vermisse. Und die Austauschbarkeit, die mir auf die Nerven geht.
Statt lückenloser Dokumentation herrscht Redundanz; fast alle knipsen das Gleiche, wenig hebt sich ab. Muss es ja auch nicht unbedingt. Ich fotografiere immer noch gern, einfach um des Fotografierens willen. Ja, ich flickre und instagramme auch bisweilen. Aber nicht mehr mit Verve.
4786 Bilder habe ich in den letzten 12 Jahren auf Flickr veröffentlich, wirklich interessant sind davon vielleicht 30. Da ist mir wenige Male ein Abbild vom Zeitgeist gelungen.
Bin ja selbst schuld, zwingt mich ja keiner, dummes Zeug zu fotografieren.  Es  gilt zu bedenken, ob das, was man gerade im Begriff ist zu fotografieren, es wirklich wert ist, festgehalten zu werden. Wie zu Zeiten der analogen Fotografie, als Filme teuer waren und jedes Bild gut überlegt. (Oder einfach einzigartiger, weil nicht stumpf von zig anderen drauf gehalten wurde.) Es gilt, weniger Plakatives festzuhalten, sondern mehr Zeitgeist zu erwischen.


Beim Streifzug durch Friedrichshain etwa wäre Gelegenheit gewesen. Um mich herum war alles so vegan und so vielfältig, so fair und so nachhaltig. In den Unmengen individuellen, kleinen Cafés Barrista-Einrichtungen, wo das Kaffeebrauen zelebriert wird und es keinen Kuchen, sondern höchsten Mal eine Keks als Begleitung zum Kaffee gibt, kann man wählen zwischen mindestens fünf verschiedenen Milchsorten: Hafer, Mandel, Laktosefrei, Soya und normal.  Die Kaffeesorten kann ich gar nicht alle aufzählen. In den Boutiquen Concept-Stores gibt es fair hergestellte Mode, BPA-freie Trinkflaschen und aus Plastikmüll gefertigte Souvenirs. In den Imbissen Food halls gibt es alles in vegetarisch oder vegan und sogar in einfallsreich, dazu jede Menge lokales Craft-Beer und regionalen Gin.


Klingt das spöttisch? So meine ich es nicht. Mir sagt das alles zu. Laktosefrei, super. Gurkeneis, lecker. Am besten mit einem Gin dazu. Nicht von Kinderhänden in unsicheren Textilfabriken genähte Klamotten, so soll es sein. Variantenreich fleischlos, gerne. BPA-freie Trinkflasche hab ich längst.
Ich erwähne es, weil dieser Zeitgeist leider wieder verschwinden wird. Vielleicht alles nur ein Trend und in wenigen Jahren ist der Vöner-Laden weg (kein Tippfehler: veganer Döner) und erfolgt nicht die anklingende Wende zum bewußteren Fleischverzehr. Vielleicht ist der Nachhaltigkeitstrend nicht nachhaltig und die fair clothing-Händler müssen mangels Umsatz schließen. Vielleicht hat auch einfach ganz antithetisch "fair" irgendwann keinen guten Ruf mehr, so wie die Gutmenschen.


Vielleicht hätte ich eine Bilderserie machen sollen. Weil es das Flüchtige ist, was sich festzuhalten lohnt. (Warum es nebenbei bemerkt auch Spaß macht und sinnvoll ist, Streetart zu fotografieren.) Leider spürte ich den Fhainer Zeitgeist erst bei rückblickender Überlegung, da war‘s zu spät und ich schon wieder in Mitte. Aber was man nicht fotografiert, um es zu bewahren, muss man eben ausnahmsweise mal in Erinnerung behalten. Oder aufschreiben.