Freitag, 15. Juli 2022

Darf man das? - Das 23. FOFL

Am Wochenende wurde endlich mal wieder gefoflt und zwar das erste Mal mit einem Motto!

Acht Songs und eine Frage: Darf man das?

Das Motto war Auslegungssache, die Antworten auf diese Frage Meinungssache. Deswegen werde ich mich weitestgehend zurückhalten, sie wiederzugeben. Fragt Euch doch selbst, was man darf und was nicht! 

[Links wie immer in den Titelzeilen]

Alten FOFL-Hasen, die immer fleißig das Protokoll lesen, wird auffallen, dass gleich was fehlt. Nämliche die obligatorische Textpassage, die stets als Untermauerung für unsere ansonsten ja total weit hergeholten Interpretationen ins Feld geführt wird und zudem als Amuse-Gueule (besonders obligatorisch bei französischer Band) den Lyrics-Connaisseuren und Connaisseusen dargeboten werden soll. Allein, es gibt in diesem Fall keinen Text, zumindest keinen verständlichen, nichts was man gescheit transkribieren könnte. Benutzt wird eine Fantasiesprache, das die Stimme als Instrument manifestiert und dennoch individuelle Empfindungen und Assoziationen in einem hervorzurufen vermag. FONL ist angesagt. Focus on Non-Lyrics.
  
Das Gepose von Künstlern auf der Bühne ist manchmal wirklich unerträglich, da kann man ihnen ruhig mal ein Lied widmen! Es ist keine seltene Eigenart von Frontmänner einer Band, dass sie auf der Bühne wie Christus die Arme ausbreiten, als wären sie ein musikalischer Messias. Wir dachten an Dave Gahan, Bono, Michael Hutchence und ja, auch an Chris Martin, wobei ich das bei meiner anschließenden Bildrecherche nicht bestätigen konnte. Der mag posen, aber nicht wie Jesus. Das Lied jedenfalls scheint eine kleine Abrechnung zu sein und bemüht dabei das Bild der Kreuzigung. Darf man das?
 
You're staring at me
like I'm driving the nails
In your Jesus Christ pose
Arms held out
In your Jesus Christ pose
Thorns and shroud
Like it’s the coming of the lord
Would it pay you more to walk on water
Than to wear a crown of thorns?
It wouldn’t pain me more to bury you rich
Than to bury you poor


Kennt jeder. Wirklich? Das Lied ja, aber worum es in dem Text wirklich geht, wissen wohl die wenigsten. Ein alter 80er Sommerklassiker, Gute-Laune-Song, Strand, Sonne, blablabla - und wir hatten 40 Jahre lang keine Ahnung, was für eine kritische Botschaft sich hier verbirgt. Die Frage könnte lauten: Darf man das, jemanden so lange hinters Licht führen? Ein paar mehr Spanisch-Kenntnisse hätten aber ja gereicht. Aber darf man, wie häufig in den 80er, eine noch fiesere deutsche Version machen?
Einem Lied, das Umweltverschmutzung und die Folgen von nuklearen Unfällen thematisiert, verpasste Frank Zander eine sozioökonomische Note. Und eine merkwürdige Band, von der man zuvor noch nie gehört hat, textete zu der Ohrwurm-Melodie "Geh'n mer halt zu Slyer". Darf man, ist aber schlimm.

Vamos a la playa                    Lass uns zum Strand gehen
Todos con sombrero               Alles trägt Hut
El viento radioactivo                
Der radioaktive Wind
Despeina los cabellos                
Zerzaust das Haar
Vamos a la playa                    
Lass uns zum Strand gehen
Al fin el mar es limpio           
Endlich ist das Meer sauber
No mas peces hediondos        
Kein stinkender Fisch mehr
Sino agua fluorescente            
Aber fluoreszierendes Wasser
Vamos a la playa, oh, oh, oh, oh
 
Ich weiß gar nicht mehr so genau, was die Frage war. Ich glaube: Ist so ein experimentell zusammengewürfelter Text ok? Er nimmt uns mit in einen Club (untermalt von der Bloc Party eigenen Getriebenheit im Beat, in diesem Fall noch gesteigert zu einer Art Technoimitation an der Gitarre) und besteht aus druffgeschickten Dialogfetzen, Pöbeleien und Partyfeeling. Er strotzt vor Slang und man weiß nicht recht, soll es ernsthaft lässig sein oder eine Überspitzung?
Ratchet meint hier natürlich nicht die Ratsche, sondern ist eine Version von "wretched" oder gar "ratshit". Soll heißen, alle Beteiligten sind ein bisschen daneben oder wollen es im Laufe des Abends werden. Sich mit Ansage ruinieren sozusagen. Wir waren alle mal da, mehr oder weniger.

And tell your bitch, to get off my shit
Smoking on that home rolled
You know that I keep it on point
Yeah, I could've came out tonight
With a flex and a flow and you know it might
When I get fucked up, when I get half cut
Gonna make them prang, get rowdy
Hey, yeah I'll make a scene, make it real, make 'em feel
Hey, yeah, yeah, yeah I'll make it loud, make it proud, make it count
We go, go ratchet
We go, you better watch yourself
 
Eine ähnliche Frage wie beim Lied davor stellt sich in Bezug auf diesen Text: Darf man den Hörer auf den Arm nehmen, indem man ihm kryptische Sätze, sinnlose Bildhaftigkeit und Oxymorone um die Ohren wirft (bis er sich selbst fühlt wie ein moron, haha), um dann selbstverständlich anzufügen "Jetzt weißt Du wer ich bin", wohlwissend, dass er keine Ahnung hat? Andererseits kann so jeder Zuhörer interpretieren, was er will (was man ohnehin immer darf) und ihm wird noch dazu gratuliert. Der Text zeigt in der Formulierung die Eigenart von Horoskopen: Vagheit, Mehrdeutigkeit und Allgemeinplätze. Thematisch rausgehört haben wir dennoch vage (!) das Thema Verführung durch Erfolg, Ruhm und Reichtum.
 
Er macht die Tür auf
Und geht rauf, und hat keine Angst
Da spielen Männer mit Papier
Und Frauen schrein am Strang
Er hat den Platindiamant
Die Sonne lacht dazu
Und die ganze Welt in seiner Hand
Weißt du, wer ich bin?
Herzlichen Glückwunsch, toi, toi, toi!
Alles Gute, toi, toi, toi!
Schau rauf zum Himmel
Diese Erde, sie ist gelb wie Stroh
Komm laß sie uns verbrennen
Ich will es so!
Jetzt weißt, du wer ich bin!
 
Das Motto dieser FOFL-Runde trifft wohl bei keinem Lied so sehr den Nerv wie in diesem Fall. Darf man den Holocaust nutzen, um zu provozieren, zu schocken? (Nein.)  Ist der Text nicht bewertend sondern rein beschreibend und damit fast verherrlichend? Oder ist er in seiner Beschreibung schon bewertend, heischt aber dennoch bloß billig nach Aufmerksamkeit? (Hier waren wir uns ein wenig uneins, aber weder das eine noch das andere ist cool.) Selbst wenn Begriffe mit negativer Bedeutung überwiegen, ist das dem Stil entsprechend eindeutig positiv konnotiert zu verstehen. Weitere Fragen lauten: Darf man einen Kriegsverbrecher, in diesem Fall Josef Mengele, zu einem Angel of Death, einem Monarch to the kingdom of the dead stilisieren? (Eher nicht.) Darf man als Band bei kritischer Nachfrage zum Text ohne Abgrenzung bleiben? (Darf man generell schon, ist aber in bestimmten und besonders solchen Fällen irgendwie scheiße.) 

Auschwitz, the meaning of pain
The way that I want you to die
Slow death, immense decay
Showers that cleanse you of your life
Forced in like cattle, you run
Stripped of your life's worth
Human mice, for the Angel of Death
Four hundred thousand more to die
Angel of Death
Monarch to the kingdom of the dead
 
Menschen mit Macht, meistens Männer, die am längeren Hebel sitzen, machen Versprechen und lassen sich dafür bezahlen, erpressen Dienstleistungen, drängen andere in die Unterwürfigkeit. Ein Song über sexuelle Übergriffe und ausbeutendes Verhalten in der Kulturindustrie und im politischen Kontext. Man denkt sofort an Typen wie Harvey Weinstein und Berlusconi (nicht zuletzt wegen des im Text zitierten "bunga bunga"). Darf man das? Darüber singen auf jeden Fall! Am besten so lange, bis auch dem letzten Arschloch klar ist, was man nicht darf.
The Smile sind übrigens die neue Band der Radiohead-Mitglieder Thom Yorke und Jonny Greenwood und bei diesem Lied zeigt Thom Yorke, dass er gar nicht immer klingen muss wie Thom Yorke.

Some kid, in golden chains, two slippery ropes
A lonely stitch, left to be unpicked
'Cluding my left foot
Let the lights down low, bunga bunga or
you'll never work in television again, Yeah right
He chews 'em up, he spits 'em out
It's whatshisname, the genie man
Mechanical, mechanical
All those beautiful young hopes and dreams
Devoured by those evil eyes and those piggy limbs
You sad fuck, you throw small change
Take your dirty hands off my love
 
Dire Straits - Money for nothing (1985)
Wir wissen wohl alle worum es in dem Lied geht, nicht zuletzt aufgrund des einst richtungsweisenden Videos (das erste, das auf MTV Europe ausgestrahlt wurde). Der einfache Arbeiter mokiert sich über den reichen Rockstar, der sich höchstens eine Blase am Finger zuzieht, während er selbst schaffen, schaffen, schaffen muss, dem die Frauen hinterherrennen, obwohl er aussieht wie: eine Schwuchtel. Ja, ganz politisch inkorrekt kommt das Wort "faggot" vor. Mark Knopfler hat einen einst in einem Elektroladen aufgeschnappten Dialog zweier Kerle in einen rollenperspektivischen Text verpackt, ihre Worte benutzt. Leider hat nicht jede Zuhörerschaft unterschieden und der Band später, als man zunehmend sprachkritisch wurde, Diskriminierung vorgeworfen, weshalb es irgendwann eine neue Version des Liedes gab, in der stattdessen "maggot" gesungen wurde.
Darf man das? Lieder, Kunstwerke, Bücher (man denke an Pipi Langstrumpf) säubern und vermeintliche Verfehlungen ausradieren? In welchen Fällen ist es angebracht? Oder sollte man sie als Zeugnis und Anstoß für Kritik genauso belassen? Liegt das Problem nicht eher im Unvermögen zum kritischen Umgang? Es gibt viele Antworten.

Now look at them yo-yos, that's the way you do it
You play the guitar on the MTV
That ain't workin', that's the way you do it
Money for nothin' and your chicks for free
Now that ain't workin', that's the way you do it
Lemme tell ya, them guys ain't dumb
Maybe get a blister on your little finger
Maybe get a blister on your thumb
We got to install microwave ovens, custom kitchen deliveries
We got to move these refrigerators, we got to move these color TVs
See the little faggot with the earring and the make up
Yeah, buddy, that's his own hair 
 
 
Ich frage mich: Darf man so 80er lastig sein beim FOFL (50%!)? Muss mir aber an die eigene (große) Nase fassen.
 
Bis bald, Eure Penjelly

Samstag, 2. Juli 2022

Coole News

Falls Euch in der Hitze nach etwas Kaltem verlangt, könnt Ihr vielleicht mit dieser Lektüre abkühlen:

Ein paar Kurzgeschichten zum Thema "kalt erwischt", eine davon ist von mir.

Erhältlich auf amazon oder direkt beim Verlag literareon!