Dienstag, 16. November 2021

N-n-n-n-nineteen, nineteen - Das 19. FOFL

Wäre mir vorher aufgefallen, dass es das 19. FOFL sein würde, hätte ich womöglich tatsächlich Paul Hardcastles "19" zur Debatte gestellt. Aber andererseits, wozu? Weiß man doch genau, worum es in dem Lied geht und ein klassisches FOFL-Thema (wenn natürlich auch nicht das Einzige) ist ja, dass man Texte diskutiert, die einen vor ein Rätsel stellen. Und davon gab es wieder einige dieses Mal.

Hier sind die Aspirant*innen auf den Preis  Großes Goldenes Fragezeichen.  

[Links zu den Liedern wie immer in den Titelzeilen]

 

Kalauer-Alarm. Nachsichtiges Augenrollen. Anerkennendes Schmunzeln. Man sollte schon genau hinhören, es könnte einem bei dieser Wortspiel-Dusche von Bo ein Witz(chen) entgehen. Schund war angesagt, aber so schlimm ist es dann doch nicht gekommen. Naja, schon, aber gleicht sich irgendwie aus durch fast ein wenig Geistreichtum hie und da. In der Literatur würde man das Ganze als Stream of Consciousness bezeichnen. In diesem Fall könnte handelt es sich aber eher um Kiffer-Logorrhoe, hervorquellend in symptomatisch verzögerter Reaktionszeit.

Erstmal Maloxaan einfahren und Magensäure binden
Das letzte Verb jetzt als Nomen ... tauchen nicht
O.B. rückwärts ist besser
Weil ich, ich bin Schund weil ungesund
Wie Dolph Lundgren, auf den Sack gehn
Oder Schulz ärgern und nicht Tyson heissen

Vor 20 Jahren verstarb das ehemalige Mitglied der Beatles, das solo nicht immer ein Garant für gutes Liedwerk war. Dieser Song ist speziell schon dadurch, dass Titel und Thema (inspiriert durch Georges temporäre Faszination für den Motorsport) ziemlich im Gegensatz zum Tempo stehen. Der "master of going faster" klingt ziemlich behäbig. Dafür werden an den merkwürdigsten Stellen Sample von Motorengeräuschen eingespielt. Trotzdem keine schlechte Allegorie auf die Kehrseite von Ruhm und Erfolg: nur eine Projektionsfläche für andere zu sein und deren Neid zu spüren zu bekommen.
 
Still the crowds  came pouring in
Some had hoped to see him fail
Filling their hearts with jealousies
Crazy people with love so frail
The people were intrigued
His wife held back her fears
The headlines gave acclaim
He'd realized their dreams

Spector - Bad Boyfriend (2015)
An sich kein komplizierter Text, allein es ist etwas mehrdeutig, an wen er sich richtet. Er klingt nach allgemeiner Kritik daran, das Glas immer als halbleer zu erachten, aber auch als Warnung, sich nicht alles zu rosig auszumalen, weil die Enttäuschung dann vorprogrammiert ist. Selbstkritik ist ebenfalls eine ordentliche Prise enthalten. Der Refrain scheint sich dann aber an eine/n recht pessimistische PartnerIn zu richten, deren Erwartung, aus der Durchschnittlichkeit errettet zu werden, man ohnehin nicht gerecht werden kann - weshalb man sich also lieber selbst verleugnet. Das Lied ist kein großer Wurf, aber man kann es sich schön hören.

When you put it to the test
everyone seems second best
To the image in your head
And you can see it coming
So when you call me and say come around
I'll just tell you that I'm not in town, town, town, town
I'm turning myself down
  
Hier passiert eine Menge, wenn man nur wüßte, was. Wir lasen eine verlorene Illusion, eine einst geliebte Frau, die man als Schwan verklärt hat, die sich aber als harter Brocken oder kalter Stein erwies. Wir lasen außerdem die Verklärung von Drogen, die einen wohlig treiben und alles wunderschön erscheinen lassen, bis man merkt, dass genau das Gegenteil der Fall ist und es einen in den Schlund zieht. Maelström lässt grüßen. Eine Menge Hilflosigkeit schwingt mit. Zorn, Abgrund, Verfall, Schutt. Man will andere warnen, aber es gelingt nicht, man klammert sich an was auch immer. Und seit wann können Steine schwimmen?
 
Forget the swan, a stone swims near
A stone has come, if I could cheer
Forget the swan
Forget the swan
Drifting among this rubble
I guess the waiting, wished I would
I found a box, untethered and true
Possession it understood
 
Antiaufrüstungsstimmung aus den 80ern, allerdings flapsig serviert, als wäre Politik etwas Lästiges, mit dem man sich nicht weiter beschäftigen will. Lieber zieht man sich was rein (siehe Bandname). Zum nur mäßig politischen Text mit lockerflockigen "dalialailialailailio"-Refrain passt die leicht gehaltene Musik. Auf zwei USA-kritische Strophen folgt eine dritte, die ein bisschen aus dem Rahmen fällt: Der Kreuzritter beim persönlichen Verkehr? So oder so: Es soll gepilgert werden, weg von den "dummen Dingen". Jerusalem als Antithese und Verheißung. Eine Antithese waren ihrerzeit auch Spliff selbst und zwar zur Neuen Deutschen Welle.

Sie lieben die Kanonen und fliegen öfter zum Mond
Die Spitzenwichser ohne Schädelkraft
Die machen hier einfach was keiner mehr rafft
Es gibt Tage wo die Sonne marschiert
Wir lieben das Grelle und die Nächte sind wild
Wir gehen den dummen Dingen dieser Welt aus dem Weg
Nur das ist der Weg, der nach Jerusalem geht

EMF - Patterns (1995)
Unbelievable, dass dieses Lied von derselben Band ist, deren großer Hit Unbelievable war. Mit diesem hat es so gar nichts gemein, weder musikalisch (ob man das jetzt als Vor- oder als Nachteil empfindet, ist Geschmackssache) noch hinsichtlich der textlichen Schwermut (dito). Was man aber sicher widerspruchslos behaupten kann: Unbelievable war leichter zu verstehen. Was sind das für Muster, die mit den Augen gemacht werden? Sind es nervöse Farbblitze hinter den eigenen Augenlidern? Beunruhigung? Auch wenn sich einem nicht jeder Vers vollends erschließt: In diesem traurigen Lied geht es jemandem gar nicht gut, einem Suizidversuch folgt der Suizidvollzug und zurück bleiben Schuld und gebrochene Versprechen.
 
I'd see her glazed eyes, too many tablets
and crazed lies
And then, as if nothing bad had happened,
as if nothing bad had happened
She'd be sitting making patterns
with my scared tired eyes
She'd be sitting making patterns
Cause my promises were lies
 
Alles ist pillepalle, alles ist so viel besser, wenn man dem hier be- und angesungenen "Dir" beim Tanzen zusieht? Oder ist das "Du" allgemein gemeint und richtet sich an uns alle, nach dem Motto: Seht nicht alles so eng und tanzt endlich? Sicher hat jeder schon mal die Erfahrung gemacht, dass alles gut scheint, wenn man sich einfach gehen lässt und beim Tanzen die Welt um sich herum vergisst. Der Text lässt sich aber auch als eine Kritik an einer fun-fokussierten "I don't care"-Attitude lesen, an der bildungsmäßig Hopfen&Malz verloren geht. Wenn Hedonisten sich selbst überbewerten, quasi. Wie auch immer: Lied macht gute Laune (zumindest mir)!
 
Lutherstadt Wittenberg Cloppenburg Haldensleben
Alles Kreuzberg wenn Du tanzt
Linkin Park Timmy Bendzko Robin Schulz Revolverheld
Alles Kunst wenn du tanzt
Schließt die Schulen dieser Stadt
Weil es keinen Sinn mehr hat
Noch ein Weltbild zu vermitteln
Das schon durch das kleinste Schütteln
Deines linken Schulterblatts
Einfach so zusammenkracht
 
Advanced transcription task. Hinhören allein hätte nicht gereicht, dafür ist die Gesangsart dann doch eine zu große Herausforderung. Aber focus on fine lyrics, dafür machen wir das ja. Hier wimmelt es nur so von religiöser Symbolik, christlicher Symbolik gar: I am the way (Zitat Jesus), the barren tree (Gleichnis by Jesus), Flood, Wave, Rain (die Sintflut), Shave, Wash, Fire (biblische Rituale), Shrine, Blood (Opfergabe). Übrigens hat Jesus auch gesagt: "Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen." Die Children of the Eye müssen also vielleicht gerettet werden.
Allerdings wird im Text nicht nur von einem Gott gesprochen. Wir sind verwirrt. Manchmal ist es ein Nachteil für ein Lied, als letztes besprochen zu werden, denn oft genug ist der (Mess-)Wein dann schon reichlich geflossen...

I am the cold, the barren tree
Reside in me
I am the fire no one can oversee
Not unto me
One tear at a time
you are a threat to mine
Flood trenches
Dredge remnants of my past
Wash away my longing for me to be the last
Come rain, wash us all away
First wave, nothing will remain
 
 
Herbstliche FOFL-Grüße aus der Ahnungslosigkeit 🍁