Montag, 13. Juli 2020

12. FOFL - 1. Gebot

In meinem Post zum allerersten FOFL habe ich festgehalten, dass es kaum Regeln geben soll bezüglich der Auswahl der Texte, der Beweggründe, ein Lied zu wählen. Im Hinblick auf die Diskussionsführung jedoch könnten Regeln sinnvoll sein. Denn natürlich darf niemand beleidigt werden. Natürlich sollte man seine musikalische Intoleranz (die nahezu jeder von uns hat) möglichst für sich behalten und sich in Aufgeschlossenheit üben.
Solche Gebote aufzustellen ist aber nicht nötig, weil sich Respekt unter FOFL-Freunden natürlich von selbst versteht.
Am vergangenen FOFL-Abend jedoch fiel der Satz "Warum suchst Du auch so einen Text aus!?". Und da sah ich mich dann doch kurz mit dem Meißel vor einer Steintafel sitzen und die Worte hämmern "Sage niemals zu Deinem Mit-FOFLer einen Satz wie... "
Ich hatte allerdings zuvor Unmut darüber geäußert, dass ich nach der Diskussion eines Textes so schlau sei wie zuvor und keineswegs befriedigt. Unmut wurde demnach mit Unmut gekontert - also geschenkt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Es wurde wieder ausgiebig diskutiert und das war toll. Hier sind die Songs des zwölften FOFL.

Ulla Meinecke - 50 Tips (1986)
Paul Simon wieder. Zum dritten Mal im FOFL, dieses Mal indirekt. 50 Tips ist eine deutsche Version von 50 ways to leave your lover, leider keine sehr gelungene. Bei der musikalischen Umsetzung gingen die Meinungen noch geringfügig auseinander. Vermissten die einen das berühmte Drum Riff von Steve Gadd, konnten andere der getrageneren Gangart etwas abgewinnen. Hinsichtlich des Texts waren die FOFLer sich jedoch einig, dass "Tips" kein klangvolles Wort und eine unpassende Übersetzung ist. Geht gar nicht. Noch gekünstelter wurden die von sehr weit her geholten Namen der Damen empfunden. Man ist versucht, es besser zu machen, aber es mangelt in der Tat an deutschsprachigen Frauennamen mit der für den Refrain erforderlichen einzelnen Silbe. Wäre es Ulla nicht offensichtlich um eine feminstische Note bei ihrem Cover gegangen, hätte man "Fühl Dich frei, Kai" oder "Sei ein einsamer Wolf, Rolf" singen können. Stattdessen das!

Er sagt, warum soll'n wir nicht drüber schlafen geh'n,

Und ich glaub wirklich, morgen früh wirst du das anders seh'n
Und er küßt mich, und ich fang an zu versteh'n:
Da gibt's doch 50 Tips, ihn zu verlassen.
Hör nicht mehr zu, Lou,
spiel nicht mehr mit, Grit
sag nicht wo du bist, Liz
Du kannst einfach geh'n. 

Massive Attack - Teardrop (1998) 
Man kennt das Lied, man mag das Lied, man hat keine Ahnung, worum es geht. Klassisches FOFL-Thema. Wunderschön singt hier Elizabeth Fraser Worte, von denen man nicht alle versteht (prey? prayer? breath!). Das Arrangement hat eine solche Kraft, die Führungsstimme eine derart bezaubernde Melodie, das bei der aus diesem Zusammenspiel geschaffenen Stimmung der Text schon mal der Aufmerksamkeit entwischt. Aber dafür ist FOFL ja da. Allerdings waren wir nach dem aufmerksamen Lesen der Verse nicht viel schlauer oder uns nicht einig. Erblüht hier eine Liebe oder geht eine zuende? Oder geht es eben genau darum, dass Liebe meist beides bedeutet, Anfang und Ende, der Kreislauf des Lebens? Es würde passend zum Video mit dem singenden Fötus und dazu, dass die Sängerin beim Schreiben des Textes ihres kurz zuvor verstorbenen Freundes und musikalischen Seelenverwandten Jeff Buckley gedachte.

Love, love is a verb
Love is a doing word
Fearless on my breath
Gentle impulsion
Shakes me, makes me lighter
Fearless on my breath
Teardrop on the fire
Fearless on my breath
Night, night of matter
Black flowers blossom
Fearless on my breath
 
The Hives - Walk idiot walk (2004) 

Man hört hin und denkt: Trump. Ihr hattet es in der Hand, habt aber nicht hinterfragt, nicht nachgedacht, falsch gewählt. Man denkt das, weil Trump die Person gewordene "falsche Wahl" ist. Das Lied entstand zwar lange vor dieser personifizierten Vollkatastrophe und in Schweden, aber das Problem ist allgegenwärtig und altbekannt: Politische Teilnahmslosigkeit.
Angesprochen wird der Idiot, der es sich geistig bequem macht, es zu anstrengend findet, sich eine eigene Meinung zu bilden. Er fristet sein Dasein, roboterartig: Body at work and a mind on vacation. Sei kein "putz" ist die Moral von der Geschicht. Der abfällige verwendete Begriff "Putz" stammt übrigens aus dem Yiddischen und ist ein hübsch-prägnantes Wort für ein dummes, ignorantes Arschloch, das nichts achtet und beachtet und bloß dumme Bemerkungen von sich gibt. FOFL bildet.
 

You oughta do what I do and doubt it
He won and now he's gonna do something about it
Ain't it sad?
And if you don't wanna feel liek a putz
Collect the clues and connect the dots
You'll see the pattern that is bursting your bubble
And it's bad
See the idiot walk, see the idiot talk
See the idiot chalk up his name on the blackboard
They say "this is all I need to get by"
The truth is baby, it's a lie

Ulla Meinecke - Die Tänzerin (1986) 
Zur Ehrenrettung Ulla Meineckes sollte nach obiger Kritik auch noch ein gutes Beispiel ihres Verdienstes um den Deutschrock vorgestellt werden. Das Lied hatte übrigens schon mal eine Randerscheinung beim zweiten FOFL und damit zieht Ulla Meinecke fast mit Paul Simon gleich. Der Text, den Ulla zu diesem grooivgen Tönen (by Edo Zanki) verfasste, wirkt erstmal recht eindeutig, gab aber dennoch Raum für vielfältige Auslegung. Man kann ihn als Schilderung einer Frauenfreundschaft lesen, die nur widerwillig und mit langsamer Annäherung entsteht. Man kann ein Konkurrenzdenken der Frauen um Männer oder um Erfolg als Tänzerin suchen und finden. Man kann sogar auf die Idee kommen, es ginge hier gar nicht um zwei Frauen, sondern nur um eine, die zwei Seiten auslebt. Auf jeden Fall wird der Text nicht nur mit viel Hall bei Gesang und Fingergeschnipse dargeboten, sondern vor allem mit einem markanten E-Piano-Orgel-Keyboard-whatever-Thema.
 

Und da saß sie, rückwärts auf dem Stuhl, mit der Lehne nach vorn
und fragt: "Was ham wir beide hier verloren?"
Du bist die Tänzerin im Sturm.
Du bist ein Kind auf dünnem Eis.
Du wirfst mit Liebe nur so um Dich,
und immer triffst Du mich.
Wir fliegen beide durch die Nächte, segeln durch den Tag.
Inzwischen bin ich sicher, du weißt, dass ich Dich mag.

Portishead - The Rip (2008) 

"Selten gab es beim FOFL derart kryptische Lyrics zu besprechen." Ja, diesen Satz habe ich bereits letztes Mal geschrieben! Dieser weitere schwierige Text führte zu der einleitend beschriebenen Situation. Ist das eine abstrakte Beschreibung eines Drogenrauschs? Wahrscheinlicher: Hier wird sich nur zögerlich einer Begegnung oder Beziehung gestellt. Wenn man jedoch sich selbst und seine bitteren Erfahrungen annimmt, kann man wieder bereit sein für die Liebe und dunkle Gedanken besiegen. Das Zögern bleibt, wirft wiederholt die Frage auf, ob man sich einlassen wird. Die Enttäuschung sitzt offenbar tief, man hat gelitten. Wird man sich dennoch von weißen Pferden, Symbolen des Glücks, auf denen womöglich Märchenprinzen (im Feinripp?) reiten, davontragen lassen? Oder sind im Anbetracht des Titels mit den Pferden schäumende Wellen gemeint, die einen davontragen, einem Todeswunsch nachgebend? Ist die Stimme anfänglich fragil und unsicher und wird nur leise begleitet, klingt sie beim letzten Vers sehr bestimmt. Er folgt auf einen Instrumentalteil, der ebenfalls an Kraft, Tempo und Lautstärke gewinnt. Die Entscheidung für die Liebe oder das Leben scheint näher zu rücken, aber es bleibt offen: Will I follow? 

And as I take on myself
And the bitterness I felt
I realize that love flows
Wild, white horses
They will take me away
And the tenderness I feel
Will send the dark underneath
Will I follow?
Through the glory of life
I will scatter on the floor
Disappointed and sore

Vampire Weekend - Diane Young (2013) 
Wenn Diane Young nicht Deine Meinung ändert, dann hast Du die Homophonie nicht bemerkt. Ein Song über die Ambivalenz der Zeit und des Älterwerdens. Wenn Du nicht jung sterben willst (dying young!), dann wird es Zeit, dass Du in Dich gehst, Dich fragst, was Du vom Leben erwartest, ob Du wirklich "so" weitermachen willst. Wobei "so" bedeutet: rebellisch und außer Kontrolle wie man es in der Jugendzeit ist. Im zweiten und vierten Vers wird das konkret angesprochen. Der erste und dritte Vers aber schildern Szenen, die man nicht so ohne weiteres zuordnen kann. Das ganze Album ist laut Band inspiriert von Godards Film "Weekend" und reflektiert die Unrast von jugendlichen Revolutionären 1968 in Frankreich. Leider kannte keiner der FOFLer den Film. Dafür gab es eine Assoziation mit dem Chappaquiddick-Vorfall von 1969, als US-Senator Ted Kennedy einen Autounfall verursachte, bei dem eine Frau jung starb. Sie hätte vermutlich gerettet werden können, wenn Kennedy rechtzeitig Hilfe geholt hätte. Er hatte doppelt Glück, überlebte und wurde nicht einmal wegen Totschlags angeklagt. Ein lebhaftes, lustiges Lied, dem man das Thema Tod nicht nur aufgrund besagter Titel-Homophonie nicht gleich anmerkt. Es sei denn, man foflt....
 

Out of control but you're playing a role
Do you think you can go til the 18th hole
Or will you flip-flop the day of the championship?
Try to go it alone on your own for a bit
If Diane Young won't change your mind
Baby baby baby baby, right on time
Irish and proud, baby, naturally 
But you got the luck of a Kennedy
So grab the wheel, keep on holdin' it tight
'Til you're tottering off into that goodnight  


Wiedersehen an Sommers Ende!
Bleibt gesund.