Always
look on the bright side of life in pandemic times: Mehr Zeit zu
lesen.
Ich wiederhole mich
wenn ich sage, dass es nicht auf die Anzahl ankommt, und auch nicht auf
die Größe (naja, ein bisschen schon auf die Größe, ha), sondern auf die nennen
wir es "Dichte" eines Buches und deshalb die Quantität im Falle
Bücher keine Aussagefähigkeit hat, aber: Ich kann von der Tradition der
Überschrift nicht lassen, sinnvoll hin oder sinnlos her.
Ich werde dieses Jahr kein
Ranking machen. Je mehr Bücher man liest, desto mehr gute Bücher liest man. Da
ist eine Vergabe von Plätzen nahezu unmöglich. Je mehr Bücher man liest,
desto mehr schlechte Bücher liest man – auch das mag gelten. Aber ich
freue mich, dass die schlechten Bücher sich an einer Hand abzählen lassen. Und
es waren auch nicht schlechte Bücher, sondern nur im Vergleich schlechtere Bücher.
Ganz untenstehend findet sich die
Liste aller Bücher, die mir in 2020 unter die bebrillten Augen kamen.
Einige Bücher möchte ich im
Folgenden hervorheben. Also….
Beeindruckt haben mich:
Manhattan
Transfer
Dos Passos hat den hustle&bustle von drei Dekaden New York (ca. zwischen 1890 und 1925, dem Jahr der Veröffentlichung) für die Nachwelt mit allen Sinnen archiviert. Straßenlärm, Farbe, Licht, Dialekte, Gesprächsfetzen, Mode, Glitzer und Gosse - er hat den Rhythmus der Metropole aufgezeichnet und darin das menschliche Verlangen eingebettet, getragen von zahlreichen Charakteren, wiederkehrenden und flüchtigen. Der Leser ist ein Lauscher.
Die Ausgewanderten
Einfühlsame Auseinandersetzung mit vier Lebensläufen vor dem Hintergrund von Holocaust, Auswanderung und Trauma, voller Wertschätzung und mit mühevoller archivarischer Arbeit.
Fesselnd waren:
Overstory
Wer Bäume liebt wird sie nach dieser Lektüre noch mehr lieben - und um sie fürchten. Ohne sie geht es nicht, der Mensch ist eher eine lästige Angelegenheit in der Geschichte der Erde. Wie schon W.H. Auden sagte (nur einer von vielen Zitierten im Buch): A culture is no better than its woods.
Killing Commendatore
Eine Geschichte die das Fantastische, ein wenig Grusel, Liebe und Kunst verbindet, aber bemerkenswerter ist die Erzählweise. 600 Seiten gingen weg wie nix.
The Great Gatsby
War schon lange auf meiner tbr-Liste und könnte sogar ein zweites Mal gelesen werden, weil so fabelhaft.
Die größte Herausforderung war:
Moby Dick
Selten bei einem Buch so durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Von innerlichen "Wundervoll!"-Ausrufen zu "Puh, ist das anstrengend"-Seufzern. Es steckt viel Lebensweisheit, viel Wissen(schaft), viel Menschliches, viel Abenteuer in diesem Buch, das zwischen verschiedenen Erzählformen wechselt. Das macht es manchmal fließend, manchmal sperrig. Sprachlich für mich das bisher schwierigste Werk (im Original). Wird aber nachhallen, da bin ich sicher.
Bereichert haben mich:
Briefe an einen jungen Dichter
Keine Worte können dem gerecht werden. Unbedingt lesen. Vor allem wenn man schreibt.
Dubliners
Sprachlich eine Wucht. Beglückend, wenn man gelungenen Ausdruck liebt. Ergreifende Einblicke in das Innenleben verschiedener Bürger Dublins, vom Kind bis zum Greis. Sha sha sha.
Orlando
Kann eine schreibende Person, die über eine Spanne von drei Jahrhunderten lebt, jemals ein Werk vollenden? Oder muss sie/er scheitern, weil sie keinen Zeitgeist kennt oder erkennt? Oder ist sie/er in der Lage, das Werk aller Werke zu erschaffen, zeitlos und einmalig? Oder hat sie/er zuviel gesehen? Wegen dieser Fragen hat mich das Buch bereichert. Außerdem wegen der schön sarkastischen Behandlung von Genderklischees.
Berührt / gerührt haben mich:
Kein Ort. Nirgends.
Zwei Dichter, Heinrich von Kleist und
Karoline von Günderrode, die im echten Leben beide freiwillig in jungen
Jahren aus diesem schieden, kommen hier in einer fiktiven Begegnung
zusammen und entdecken ihre Seelnverwandtschaft. Man wünscht sie wären
sich wahrhaftig begegnet.
Nora Webster
Berührendes Porträt einer Frau, die sich im konservativen Irland der 1960er Jahre versucht selbst zu finden. Die kleinen Schritte zum Erfolg erfolgen leise und werden auch leise, nicht tragisch trotz aller Tragik, geschildert. Toibin kann das so gut.
Normal People
Zusammen erwachsen werden, zusammen lieben, einander und andere, sich verlieren und sich wiederfinden, allen Wunden der Vergangenheit zum Trotz. Die Geschichte der beiden jungen Hauptcharaktere reißt einen mit.
Ehrfurcht empfand ich bei:
The Ballad of the Sad Café
Ein Buch, das ich mehrfach an mein Herz gedrückt habe, als könne ich Carson damit meine Wertschätzung mitteilen. Vielleicht mein heimlicher (jetzt nicht mehr) Gewinner. Selten hat jemand so treffend über Gefühle, über Liebe, über das Menschliche geschrieben, unprätentiös und gewahr. Carson ist die Beste.
Paradise
Eine ganz kurze Geschichte, die einen aber mächtig hineinzieht. Was am ebenfalls extrem guten, stimmungstragenden Stil liegt. Von O'Brien muss ich noch mehr lesen.
The Waves
Hat mich zwar zugegeben etwas schwermütig gemacht, aber wenn jemand das mit Worten schafft, kann man sich vorstellen, wie gewaltig diese Worte sind. Gewaltig wie sich brechende Wellen, deren Beschreibung in Passagen zwischen den Kapiteln die Gezeiten des Lebens symbolisieren; gewaltig wie die nie endende Erforschung des Selbst von der Jugend bis ins Alter.
Entschleunigt haben mich:
White Mule
...aufgrund der achtsamen, poetischen Erzählweise und den wunderbaren Bildern (Sprachbilder wohlgemerkt)
Light
... wegen der Sinnlichkeit dieser Novelle. Wir sind im Garten von Monet, in Giverny. Licht und Lichtspiel tanzen, wabern, fließen, ruhen stimmungsvoll vor dem Auge des Lesers.
Unterhalten haben mich:
Persuasion
Die Freude an Austens feinem Humor gepaart mit der Faszination über Konventionen und subtile Kommunikationswege, die man heute kaum nachvollziehen kann, und der interessanten, etwas antiquierten Ausdrucksweise machen ein reines Lesevergnügen. Auch wenn man im Grunde weiß, wie die Geschichte ausgehen wird, baut Austen sie dermaßen geschickt auf, das man weiter und weiter und weiter lesen will. Und mal wieder nach England will.
Ragtime
Ähnlich wie im oben erwähnten Manhattan Transfer wird hier, allerdings mit mehr als 50 Jahren Abstand (veröffentlicht 1975), New York in der Ära zu Beginn des letzten Jahrhunderts unter die Lupe genommen, auf leichtere Art, nicht so kunstvoll aber kunstfertig und witzig. Ein unterhaltsamer Roman über ein Stück amerikanische Geschichte, in dem man zahlreiche Persönlichkeiten der Zeit antrifft.
The Uncommon Reader
Großer Spaß! Die Queen entwickelt sich plötzlich zur leidenschaftlichen Leserin und irritiert damit Land und Leute. Bonus: Literarische Reminszenzen zuhauf. Alan Bennett hat mich noch nie enttäuscht.
Nicht so überzeugt haben mich:
Licht
Boyle kann ja so viel mehr, hier hat er sich keine Mühe gegeben. Das Buch erschien mir hingerotzt. Hab's allerdings in der Übersetzung gelesen, vielleicht ist die dafür verantwortlich. Um das herauszufinden werde ich es aber nicht nochmal in Englisch lesen.
Logging off
Sicher, das Buch ist irgendwie irrwitzig, lustig, gewürzt mit Kritik am Umgang mit sozialen Medien. Es ließ sich leicht und unterhaltsam lesen, an einem Tag wegkonsumiert. Musste auch manchmal lachen. Dennoch für meinen Geschmack zu überzogen, zu albern.
Dann schlaf auch Du
Ließ sich gut und leicht weglesen, war auch spannend. Aber ohne bleibenden Eindruck. Vielleicht einfach nicht mein Genre.
Liste 2020
Virginia Woolf - The Waves
Herman Melville - Moby Dick
Alan Bennett - The Uncommon Reader
Leonora Carrington - The
Skeleton's Holiday
Jane Austen - Persuasion
Stephen Fry - Mythos
Mark Twain - A Connecticut Yankee
in King Arthur's Court
George Orwell - Why I write
Matt Haig - Midnight Library
Edna O'Brien - Paradise
F. Scott Fitzgerald - The Great
Gatsby
Anthony Burgess - Nothing like the
sun
Bernardine Evaristo - Girl, Woman,
Other
Eva Figes - Light
Adkins & Shackleton (Ed.) -
Recollections. Ten stories on five themes.
William Carlos Williams - White
Mule
Vladimir Nabokov -Gelächter im
Dunkeln
Thomas Mann - Lotte in Weimar
Angelika Fischer/Klaus Bellin -
Das Weimar des Harry Graf Kessler
Sally Rooney - Normal People
George MacDonald Fraser - Flashman
James Joyce - Dubliners
T.C. Boyle - Das Licht
Edward Snowden - Permanent Record
Colm Tóibín - Nora Webster
Carson McCullers - Reflections in
a golden eye
Richard Powers - The Overstory
Haruki Murakami - Killing
Commendatore
Ian McEwan - Black Dogs
William Faulkner - As I lay dying
Sherill Tippins - February House
Nick Spalding - Logging off
Carson McCullers - The Ballad of
the Sad Café
Rainer Maria Rilke - Briefe an
einen jungen Dichter
Colum McCann - Letters to a young
writer
Alan Bennett - Six poets. Hardy to
Larkin. An Anthology
Percival Everrett - I Am Not
Sidney Poitier
Sarah Davis-Goff - Last Ones Left
Alive
Michael Kumpfmüller - Ach,
Virginia
Shelagh Delaney - A taste of honey
Virginia Woolf - Orlando
Christa Wolf - Kein Ort. Nirgends.
Leila Slimani - Dann schlaf auch
Du
John Dos Passos - Manhattan
Transfer
W.G. Sebald - Die Ausgewanderten
E.L. Doctorow - Ragtime