Montag, 24. Mai 2021

FOFL in Heaven 17

Endlich wieder FOFL! Mit getesteten Teilnehmerm, mit Abstand und offenen Fenstern, mit frühzeitigem Ende wegen Ausgangssperre - aber trotzdem schön.

[Links zu den Liedern wie immer in den Titelzeilen]

 
Can you surry? Gute Frage. Um das zu beantworten, müsste man wissen, was das heißt. Recherchen ergaben kein valides Ergebnis, sie führten zu dem Beleg: siehe Song von Laura Nyro. (Bekannter als das Original ist übrigens das Cover von 5th Dimension).
Surry ist jedenfalls bestimmt was Lässiges. Denn immerhin geht es in dem Lied darum, beim Picknick Selbstgebrannten zu genießen, schön einen zu kiffen und die Seele baumel zu lassen. Begriffe wie honey, sassafras, blossoms, golden dust klingen nach Insektenparty, also übersetzen wir surry für uns mit 'locker rübersurren/niederlassen'. Wenn Bienen schlendern könnten... Mag sein, dass sassafras (eigentlich eine Lorbeerpflanze) ein Synonym für Marihuana war, mag sein, dass surry in den 60ern verbreiteter Urban Slang war. Die Überlieferung ist auf der Strecke (zum Picknick) geblieben. Das wiederholte surry am Ende klingt ein bisschen nach hurry (komm endlich) oder auch sorry (für die gesetzten Prioritäten).

Surry down to a stone soul picnic (Can you surry? Can you picnic?)
There'll be lots of time and wine
Red yellow honey, sassafras and moonshine
Stoned soul, yeah
Surry on, soul 
Surry, surry, surry, surry

Eine Glorifizierung des Rock'n'Roll-Lifestyles - das ist, wofür das Lied meistens gehalten wird. Der Titel wurde zu einem allgemeinen und viel zitierten Ausdruck in der Popkultur. Das Lied fordert jedoch im Grunde lediglich dazu auf, außerhalb der Norm zu leben, eine Alternative zur Konformität zu finden, der Eintönigkeit eines 9-to-5-Jobs zu entfliehen, Nach eigener Aussage meinte Dury aber: Wenn Du an nichts anderes denkst als an Sex and Drugs and Rock'n'Roll, dann läuft was falsch. Mag sein, dass bei der Wahl des Titels dennoch einkalkuliert wurde, das Werk zu einer Hymne an den exzessiven Lebenswandel zu machen.
 
They will try their tricky device
Trap you with the ordinary
Get your teeth into a small slice
The cake of liberty
Sex and drugs and rock and roll
Sex and drugs and rock and roll
Are very good indeed

Einstürzende Neubauten - Merle (Die Elektrik) (1983)
Ein ungewöhnliches Klangstück, experimentell wie es typisch ist für die Band, zwischen Musik und Geräusch. Diese Collage aus Industrial-Tönen und einer Anruferstimme die Drohungen artikuliert, ist creepy und faszinierend zugleich. Dramaturgisch gut gemacht. Unwillkürlich rufen die Worte Spannung hervor, fesseln einen und laufen dann ins Leere. Trotz weniger Sätze steht ein Verbrechen im Raum, gibt es offensichtlich ein Opfer namens Merle. Weiß man jedoch, dass das Lied keine rein fiktive Kunst ist, sondern einen authentischen Kriminalfall aufgreift, dass der Anruf möglicherweise eine echte Bedrohung oder zumindest ein schlechter Scherz war, dass es diese Merle (deren Nachname sogar genannt wird) gab und sie eine Schwester hinterließ, als sie ermordet wurde, dann wird aus "creepy und faszinierend" eher "creepy und geschmacklos".

Kennen Sie eine Merle? Sind Sie mit ihr verwandt?
Das ist gut, zu gut...
Hahah, bald geht's Ihnen auch an'n Kragen.
Hach, das werden Sie schon noch sehen.
gGrade Sie, Sie sind mein Opfer.
Hatte Merle S... eine Schwester?
War sie älter oder jünger?
Natürlich, ich kenne sie ja nur vom Namen her.
Wie alt ist sie denn genau?
Schade um sie, sie wird's auch nicht länger durchhalten.
  
Kryptisch wie der Titel beginnt der Text. Begriffe wie Kitilop, Swen Ekaf, Negül Esserp fliegen einem um die Ohren und man muss schon die Transkription vor sich haben, um zu erkennen, dass hier Worte (Politik, Fake News, Presselügen) verdreht werden wie heutzutage oft Tatsachen. Dann folgt eine Bildbeschreibung: Ein Mann steht auf dem Platz des himmlischen Friedens, in jeder Hand eine Einkaufstüte, und verhindert das Vorrücken der Panzer. Er bildete eine Wand inmitten eines Massakers. Das war begründeter ziviler Ungehorsam, echtes Einstehen für Demokratie und Grundrechte und es brauchte 1989 nur ein Bild, um aus Tank Man eine Ikone zu machen. Was sind dagegen debile Querdenker mit ihrer sogenannten, in den sozialen Medien verbreiteten Revolution, was eine Jana aus Kassel die sich mit Sophie Scholl vergleicht? Zynisch. Die Moral von der Geschichte: Immer genau hinschauen, es könnte Noital Upinam sein.
 
Ten Retni
Noissuksid
Swen Ekaf
Negül Esserp
Kitilop
Laicos Neidem
Die Panzer kommen ich bleib einfach steh'n
Wenn sie sich bewegen, werd' ich nicht weggeh'n
Mit meinen Taschen in meiner Hand
Bin ich so stark, ich bin eine Wand
Ich bin eine Wand
Tank Man

Der ehemalige Pavement-Sänger hat einen neuen Stil gefunden. Nicht jeder findet das gut. Was aber vor allem nicht finden, ist eine Erklärung zum Titel. WTF ist Viktor Borgia? Es gibt einen Bösewicht diesen Namens in einer Folge von von 'Get Smart', der nach dem Komiker Victor Borge sowie der Adelsfamilie der Borgia benannt wurde, aber dieses Wissen hilft nicht weiter und lässt sich nicht mit denim Text beschriebenen Szenen zusammenbringen. Wir glauben es handelt sich um Beschreibungen von Leuten in einem Club, die auf der Suche von was auch immer sind, Liebe wahrscheinlich, auf welche beim Blick in verheißungsvolle Augen gehofft wird. Im ersten Vers gibt es peace negotiation, im letzten einen winning streak. Die Borgias assoziiert man ja häufig mit Intrigen, also wer weiß, was in dem Club genau abgeht. (Stellen Sie sich an dieser Stelle bitte ein achselzuckendes ein Emoji vor.)   
 
There's patient Larry
With his canary
He's here every week
On a big winning streak
Boys are raining on him
Your eyes are like a presence
from a peasant
Oh, and he cherishes them so

In seiner Art weist dieses Lied eine gewisse Ähnlichkeit mit 40 Jahre jüngeren "Sex and drugs and rock'n'roll" auf: die spoken word Manier, die akzentgefärbte Aussprache (Endungen auf -er werden zu herrlichen End-As: Salamanda, sleepa, licka) und der anklingende non-konforme Lifestyle. Es könnte daran liegen, dass Baxter Dury der Sohn von Ian Dury ist (und sogar auf Daddy's album cover von einst zu sehen, s.u.).
Miami ist ein Charakter, der sich durch das ganze Album von Baxter zieht, es ist nicht die Stadt gemeint. Es sei denn, man will das, wofür Miami steht auf den Charakter projizieren. Aber wofür steht Miami denn? Dexter Morgan? Miami Vice? Rentnerparadies Florida? In Anbetracht des selbstbezogenen Typen, der uns hier den dicken Max macht, auch wenn er dabei ein bisschen nach waidwundem Tier klingt, mag der Name Miami aber auch gewählt sein, weil "My/I am/Me" darin steckt.

I don't think you know who I am
I'm the sausage man
The shadow licker
I'm the tiny little ghost
That features in your despondent moments
The timeless whisper
The galssy dude
I'm the science of all that's wrong
And I'm making you think that you doubt everything you love
But I'm here to stay
I'm Miami
 
Der Gemütszustand einer Person ist nie gleich, Stabilität ist nicht stetig, Verdruss vorübergehend, das eine folgt auf das andere. Man muss nicht immer wissen wohin die Reise geht und man muss keinem festen Schema folgen. Also: Entspann Dich. Eine Hand in der Hosentasche vermittelt Alanis hier ganz gelassen eine Botschaft dieser Art. Oder nicht? Man kann die Hand in der Tasche auch als versteckte Faust oder als verborgene Gefühle verstehen: Nicht zu zeigen, was in einem vorgeht, vielleicht nicht den Mut dazu zu haben. Sich zurückzuhalten, um Gelassenheit und Kontrolle bemüht. Oder sich einfach noch nicht über seine Empfindungen im Klaren zu sein, unentschlossen. Der Text ist womöglich ebenso doppelgesichtig wie der Mensch.

I'm free but I'm focused, I'm green but I'm wise
I'm hard but I'm friendly, baby
I'm sad but I'm laughing, I'm brave but I'm chickenshit
I'm sick but I'm pretty baby
And what it all boils down to
Is that no one's reallygot it figured out just yet
I've got one hand in my pocket
And the other one is playing the piano

Tool - Ænema (1996) 
25 Jahr alt bereits ist diese Anti-Ode auf die City of Angels und noch immer kein Armageddon! 'Learn to swim' lautete die Ankündigung des Untergangs von L.A., diesem Pfuhl der Oberflächlichkeit und Falschheit (hier symbolisiert durch Haarteile, Prozac, Filmindustrie), diesem Loch voller Möchtegern-Gangster und Scientologen, voller leerer Ablenkung von der eigenen Dysfunktionalität. Inspiration zum Text war der wiederholt geäußerte Wunsch des US-Komiker Bill Hicks, dass Los Angeles doch bitte vom Ozean verschluckt und zur Arizona Bay werden möge. Er verabscheute die Stadt. Der Song richtet sich jedoch nicht ausschließlich an L.A., sondern kann als generelle Gesellschaftskritik verstanden werden: Die Verschreibung einer Seelenreinigung (Ænima), die den ganzen Mist wegspült.
 
Here in this hopeless fucking hole we call LA
The only way to fix it is to flush it all away.
Any fucking time. Any fucking day.
Learn to swim, I'll see you down in Arizona Bay.
Fret for your figure and fret for your latte and
Fret for your hairpiece and fret for your lawsuit and
Fret for your Prozac and fret for your pilot and
Fret for your contract and fret for your car.
It's a Bullshit three ring circus sideshow of Freaks
 
Ich war nur mal drei Tage in L.A. und kann mir nach so kurzem Aufenthalt natürlich kein Urteil erlauben! (Es war scheußlich, Bill Hicks und Tool haben recht. Come, Armageddon, come, wie auch Morrissey schon sagte.)
 

Vielleicht sind wir zum nächsten FOFL schon alle geimpft - vielleicht ist diese Hoffnung aber auch naiv. Aber: Geimpft oder nicht geimpft, es wird gefoflt werden!