Sonntag, 17. April 2022

FO(ster)FL

Das 22. FOFL fand nur zufällig zu Ostern statt, es ging weder um Auferstehung noch Hasen und Eier.
Die folgenden Lieder wurden ins Osternest gelegt.

[Links zu den Liedern wie immer in den Titelzeilen]
 

Szenenbeschreibung in Echtzeit und Reimen. Man erlebt eine Trennung live mit, jede Bewegung, sowohl körperlich als auch emotional, wird in Momentaufnahme beschrieben. So nah dran fühlt man mit, leidet mit, hört den Rat der Freunde, von dem man weiß, dass er im Augenblick noch so gar nicht hilft: There's plenty more fish in the sea.
Alle Lieder auf dem großartigen Konzeptalbum von Mike Skinner aka The Streets werden in dieser Erzähltechnik, mit dieser Unmittelbarkeit präsentiert. Aber bei diesem Lied ergießt sich ein Schwall von Empathie über einen, denn wer hat diesen Schmerz so oder ähnlich nicht selbst schon mal gefühlt: It's over.

In one single moment, your whole life can turn round
I stand there for a minute, staring straight into the ground
Lookin' to the left slightly, then lookin' back down
The world feels like it's caved in, proper sorry frown
Please let me show you where we could only just be for us
I can change, and I can grow, or we could adjust
The wicked thing about us is we always have trust
We can even have an open relationship if you must
I look at her, she stares almost straight back at me
But her eyes glaze over, like she's looking straight through me

Auch dieser Text erzählt eine Geschichte in Realtime. Eine Schießerei, ein Opfer. Eine Menschenmenge, eine Meinung. Aber es gibt immer mehrere Seiten einer Story. Wut und Verlust lassen einen oft vergessen, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist, dass Menschen nicht nur gut oder nur Böse sind, lassen uns den Blick für das Ganze verlieren. Manchmal ist es nicht relevant, das Ende der Geschichte zu kennen, zieht man es sogar vor, es nicht zu erfahren. Denn die Tragik liegt oft nicht im Ausgang, sondern im Lauf der Dinge. Der Text beruht auf einer wahren Begebenheit: Eine Schießerei, mehrere Opfer.
 
All these marks of youth soon transformed coldly into stone
For fights and stupid feuds, for ruins wrapped in gold
And cruelly I recall why I have come to find a reason
But there cannot be a reason, not for death, not like this, not like this
Three days later they made funeral plans, the family
Three days later a mother had to bury her son
Not far away the shooter holed up in a hotel
Near to the highway with a friend and the gun, that same gun
He'd fled immediately but was identified by witnesses
His picture on TV, only 20 years old

Während der Diskussion (als uns das Jahr der Veröffentlichung vom Beitragenden noch nicht mitgeteilt worden war) wurden Gerüchte gestreut, dass sich Billie Eilish nach einer Figur in diesem Lied benannt hätte. War bloß ein Osterei. Nein, hat sie natürlich nicht. Die Figur im Text wird vielmehr mit Billie verglichen, hat offenbar ebenfalls einen gewissen Fame oder ist zumindest auf bestem Wege, groß rauszukommen. Jedenfalls ist sie nach einem Weekend-Stand für den Zurückgelassenen nicht mehr greifbar und er macht sich auch keinerlei Illusion über eine Fortsetzung der Liaison. Er überspitzt vielmehr seine Träume von einer gemeinsamen Zukunft, macht dabei aber deutlich, dass er klar kommen wird. Er ist schon zufrieden, wenn er ihr irgendwie in Erinnerung bleibt. Und genau das soll mit dieses Lied wohl erreicht werden.
Wir hatten keine Ahnung, warum das Lied heißt wie der Film und wir haben auch nicht versucht, es rauszufinden. (Ideen dazu können gerne in den Kommentaren abgeben werden.)

It's just been a weekend
But in my mind
We summer in France
With our genius daughters now
And you teach me to play the piano
You call I'll be there
Once more
I'm scared of the phone
Don't ring it
Please know
That I'm just trying to find
Some way to keep me in your mind
And later on
Everyone will say it was cool
  
Ein langer Text, der zufällig - es war kein FOFL Motto oder so -  ebenfalls eine Begebenheit in Echtzeit beschreibt, dieses Mal einen Bandenkrieg in oder um London. Die Musik, die eher an ein Zirkus-Musical denken lässt, will zunächst so gar nicht zu der Schilderung einer Schlacht passen, soll aber wohl unterstreichen, wie lächerlich das Gehabe und wie absurd das unnütze Blutvergießen sind. Wie es im Krieg eben oft so ist: Auf beiden Seiten werden die Soldaten verfeuert, die in der Gang-Hierarchie ganz unten stehen (Billy's boys und Little John's thugs), während die Bosse (Billy und John) in ihrer Limo ein Picknick abhalten und den Ausgang der Schlacht abwarten. Nachdem von ihren Schergen keiner mehr am Leben und trotzdem keine Entscheidung herbeigeführt ist, werfen die Kriegstreiber am Ende einfach eine Münze, um die Sache zu regeln. Absurd wie Krieg eben ist...
 
In with a left hook is the Bethnal Green Butcher,
But he's countered on the right by Mick's chain-gang fight,
And Liquid Len, with his smashed bottle men,
Is lobbing Bob the Nob across the gob.
With his kissar in a mess, Bob seems under stress,
But Jones the Jug hits Len right in the mug;
And Harold Demure, who's still not quite sure,
Fires acorns from out of his sling.
(Here come the cavalry!)
Up, up above the crowd,
Inside their Silver Cloud, done proud,
The bold and brazen brass, seen darkly through the glass.

 
Noch ein Lied über Trennungsschmerz, wenn auch einen nicht mehr ganz so akuten. Der Text handelt davon, wie durch das Hören bestimmter Lieder oder Interpreten sofort die Erinnerung an die gemeinsame Zeit zurückgebracht wird. Das Bedauern darüber, dass es nicht funktioniert hat, dass das Lebensmodell nicht das gleiche oder man zu naiv war, wird gleich mitgeliefert. Ein Song reicht. Zack, alles wieder da. Wer kennt das nicht?
In dem kraftvollen Lied mit Stadionrockpotential wird jedoch weniger gelitten als die Meinung vertreten, dass man ohne diese auditorisch indizierten Rückschläge womöglich drüber wegkommen würde - weshalb der verdammte Mike Skinner (siehe oben) und andere Künstler nun leider aufhören müssen.

Verdammter Mike Skinner
Kate Nash, Lykke Li
Tame Impala, The Killers
Florence + The Machine
Ich hab' mich wirklich angestrengt
Alte Bilder abgehangen
Deinen Account deabonniert
Die Erinnerung verdrängt
Und ich hab' mir eingeredet
Dass es funktioniert
Aber ein, zwei Bands
Die mich andauernd an
Die Zeit mit Dir erinnern
Tut mir leid für die Fans
Aber die müssen leider
Jetzt aufhör'n für immer

 

Verdammter Mike Skinner
Kate Nash, Lykke Li
Tame Impala, The Killers
Florence + The Machine

[Verse 1: Kraftklub]
Ich Hab' Mich Wirklich Angestrengt
Alte Bilder Abgehangen
Deingn Account Deabonniert
Die Erinnerung Verdrängt
Und Ich Hab' Mir Eingeredet
Dass Es Funktioniert
Aber Ein, Zwei Bands
Die Mich Andauernd An
Die Zeit Mit Dir Erinnern
Tut Mir Leid Für Die Fans
Aber Die Müssen Leider
Jetzt Aufhör'n Für Immer




Read more at: https://www.lyricsroll.com/ein-song-reicht-lyrics-kraftklub.htmlVerdammter Mike Skinner
Kate Nash, Lykke Li
Tame Impala, The Killers
Florence + The Machine

Ich Hab' Mich Wirklich Angestrengt
Alte Bilder Abgehangen
Deingn Account Deabonniert
Die Erinnerung Verdrängt
Und Ich Hab' Mir Eingeredet
Dass Es Funktioniert
Aber Ein, Zwei Bands
Die Mich Andauernd An
Die Zeit Mit Dir Erinnern
Tut Mir Leid Für Die Fans
Aber Die Müssen Leider
Jetzt Aufhör'n Für Immerh
Ich Hab' Mich Wirklich Angestrengt
Alte Bilder Abgehangen
Deingn Account Deabonniert
Die Erinnerung Verdrängt
Und Ich Hab' Mir Eingeredet
Dass Es Funktioniert
Aber Ein, Zwei Bands
Die Mich Andauernd An
Die Zeit Mit Dir Erinnern
Tut Mir Leid Für Die Fans
Aber Die Müssen Leider
Jetzt Aufhör'n Für Immer
Immer Wieder Mike Skinner


Read more at: https://www.lyricsroll.com/ein-song-reicht-lyrics-kraftklub.html
Ich Hab' Mich Wirklich Angestrengt
Alte Bilder Abgehangen
Deingn Account Deabonniert
Die Erinnerung Verdrängt
Und Ich Hab' Mir Eingeredet
Dass Es Funktioniert
Aber Ein, Zwei Bands
Die Mich Andauernd An
Die Zeit Mit Dir Erinnern
Tut Mir Leid Für Die Fans
Aber Die Müssen Leider
Jetzt Aufhör'n Für Immer
Immer Wieder Mike Skinner


Read more at: https://www.lyricsroll.com/ein-song-reicht-lyrics-kraftklub.htm
 
In diesem Lied sind wir Zeuge eines Gesprächs zwischen Mensch und Tod. Letzterer holt ersteren. (Es ist auch selten umgekehrt.) Soviel kann man dem nicht leicht zu erschließenden, aber sehr bildhaften Text entnehmen. Der Tod erscheint mal weiß wie erstickende Vulkanasche, mal schwarz wie die Beulenpest.
Bedeutungsträger, wie der danse macabre (mittelalterliche Darstellung der Macht des Todes) oder der Acheron (in der griechischen Mythologie sowie in Dantes Göttlicher Komödie der Totenfluss in der Unterwelt) unterstreichen die faustische Stimmung. Der Mensch ist dem Sentinel, dem Wächter des Todes, machtlos ausgeliefert. (Es ist selten anders.)
Der Verfasser des Texts, Alex CF, ist Autor des Buches 'Seek the throat from which we sing' und ich bin nun stolze Besitzerin eines signierten Exemplars. (Danke für dieses foflige Geburtstagsgeschenk, P.!🖤)

danse macabre
palaeography
a mockery of script
the rigour garb of
acheron, leaden
sleep anoints him
(Sentinel) shall we begin?
(Recipient) the malignancy
bows and gestures on
his sanctum shrouds
I have no choice
no argument
for the dark entices
alluring truths
 
Dieses Lied könnte der Grund dafür sein, dass man den hundert Jahre zuvor erschienenen Werken 'Alice in Wonderland' und 'Through the looking glass' von Lewis Carroll nachsagt, dass es ein oder mehrere Drogenräusche beschreibt. Der Trunk im literarischen Werk ist hier eine Pille oder da ein Pilz, aber kaum ist etwas davon eingeworfen, kann man ähnlich fantastische Abenteuer erleben wie die kleine Alice, kann schrumpfen oder wachsen, mit Siebenschläfern abhängen oder muss sich vor einer roten Königin in Acht nehmen. So wie Alice ihrer Neugierde in ein surrealistisches Wunderland folgt, so folgen Jefferson Airplane ihrem Verlangen nach Bewusstseinserweiterung. Feed your head!

And you've just had some kind of mushroom
And your mind is moving low.
Go ask Alice
I think she'll know.
When logic and proportion
Have fallen sloppy dead,
And the White Knight is talking backwards
And the Red Queen's "off with her head!"
Remember what the dormouse said:
Feed your head. Feed your head. Feed your head
 
 
FOFL on!
 

Montag, 11. April 2022

Henninger-Stübchen vor 86 Jahren

Frankfurt liest ein Buch und ich lese mit. Beziehungsweise ich bin schon durch und fand es toll. Deshalb hier eine kurze Empfehlung. Wer liest noch mit?
(Wenn nicht mein Blog, dann doch wenigstens das Buch.)

Solange es ihr möglich war, beobachtete und erlebte Irmgard Keun den Alltag im nationalsozialistischen Deutschland aus nächster Nähe. Sie begann diesen Roman bereits bevor sie erst 1936 das Land verließ im Kopf zu formulieren, hatte aber nicht riskieren können, ihn aufzuschreiben. „Nach Mitternacht“ erschien 1937 im Exil.

Geschildert werden 48 Stunden durch die Augen einer jungen Frau im Frankfurt des Jahres 1936. Mit genauer Beobachtungsgabe und Witz beschreibt die Erzählerin auf unauffällige, aber wirkungsvolle Art das Spektrum bürgerlichen Lebens im NS-Staat - nicht dokumentarisch, sondern kunstvoll authentisch. Die Erzählweise hat oft etwas Bühnenartiges und der Leser fühlt sich mitten reinversetzt in die Erlebnisse, Gespräche und Widersprüchlichkeiten der unterschiedlichsten Menschen in dieser Zeit. Man wird zum Zeugen und hat nicht selten einen Kloß im Hals.

Etwa wenn es um die Liebe in Zeiten des Nationalsozialismus geht:

„…nun muß man auch noch alle Bestimmungen über die Liebe kennen, das ist bestimmt nicht leicht. Man kann entmannt werden oder ins Gefängnis kommen, ehe man sich’s versieht, das ist nicht angenehm. Es soll ja Liebe geben, und man soll als deutsche Frau auch Kinder kriegen, aber dazu ist doch immer ein Vorgang mit Gefühl nötig. Und bei diesem Vorgang dürfen gesetzlich keine Fehler gemacht werden. Das Sicherste ist vielleicht doch: man liebt überhaupt nicht. Solange das gestattet ist.“


Lesenswert macht den Roman zudem die wunderbar bildhafte Sprache, mit der Keun beeindruckt:

„Noch nicht einmal mein Haar leuchtet. Es hat eine blonde Farbe, die schläft.“

„Ich saß halb auf dem Schoß von einem dicken Mann, sein Gesicht konnte ich nicht richtig erkennen, sein Atem war wie ein fetter stinkender Ball, der mir immerzu ins Gesicht flog.“


Ein Schauer durchfährt einen - besonders derzeit - bei dieser Passage:

„Ein Zufall ist es, daß giftige Gase nicht meinen Leib zerfressen. Der Führer riskiert alles. Durch ein Wort kann er Krieg machen morgen und uns alle tot. Wir alle ruhen in des Führers Hand.“

Freue mich nun auf die Stadtführung zu den Schauplätzen des Romans, die im Zuge des Lesefestes im Mai stattfinden wird. Vielleicht sehen wir uns ja!

Mehr dazu findet Ihr unter Frankfurt liest ein Buch.