Montag, 21. Dezember 2020

Fünfzehn FOFLs....

 ...gab es nun schon!

Und wenn ich mir unsere letzte Diskussion vor Augen führe, denke ich: Wir werden immer besser. Ich meine nicht was unsere Erkenntnisse anbelangt, da gibt es kein einfaches richtig oder falsch. Jeder kann etwas anderes in einem Text lesen, in einem Lied fühlen oder aus einer Stimme heraushören. Deswegen diskutiert man letztendlich. Zu den üblichen Fragen ("Um was geht es? Was ist damit gemeint? Ist das eine Metapher?") hätten das letzte Wort nur die Künstler, sofern sie sich denn äußern wollen. Manchmal tun sie das auch (wenn auch nicht persönlich, ha) und dann widersprechen wir nicht.
Ich meine aber, wir werden besser in unserer Vorgehensweise, dem gegenseitigen Anregen, der einzigartigen FOFL-Hermeneutik! So zumindest mein Empfinden, mag sein, dass die anderen FOFLer nun die Hände über Augen und Ohren zusammenschlagen würden. Es war jedenfall ein sehr einträchtiges FOFL zum Abschluss dieses eher beeinträchtigenden Jahres.

[Links zu den Liedern wie immer in den Titelzeilen]
 

Half Moon Run - Full circle (2012)
Das lyrische Ich in diesem Lied der Kanadier muss hilflos mit ansehen, wie Drogen Besitz von einem Freund ergreifen. Vielleicht auch von mehreren Freunden, vielleicht geht es in jeder Strophe um einen anderen, auf jeden Fall sind es unterschiedliche Drogen. Vielleicht bezieht sich der Titel "full circle" darauf, dass der ganze Freundeskreis Drogen nimmt. Nein, Spaß beiseite, ist nicht angebracht bei diesem traurigen Lied und der Ernsthaftigkeit des Themas. Es ist vielmehr ein Kopf der sich hier "full circle" dreht und dieses Bild assoziiert man unweigerlich mit dem Film "Der Exorzist". Nur das hier niemand vom Teufel, sondern eben von Drogen besessen und nicht mehr er selbst ist. Zur Austreibung und zum Schutz würde man ihn am liebsten einmauern:

You appear even tempered though your looks will deceive,
and the sparks are always flying cause you drink for relief.
With the heart of a child and the wit of a fool,
it's a wonder why I don't try to build a wall around you
When I watch as your head turns full circle

Die Bar, ein ambivalenter Ort - des Absturzes, des Ertränkens von Kummer, aber auch der Zuflucht und des Trostes. Das Lied mag eine Würdigung der Bar an sich sein oder aber auch die Bar als Traumort oder Metapher benutzen, um über die Geschichten, die das Leben schreibt, zu philosophieren. In den einzelnen Strophen werden verschiedene Szenarien und Typen geschildert. Jeder ist wilkommen, aber mit jedem wird auch abgerechnet; mit der Mutter, dem Exfreund, mit Freunden und Veteranen und auch mit sich selbst. Das klingt mal mehr, mal weniger wohlwollend, meistens jedoch sarkastisch und melancholisch.
 
I opened a bar for my boyfriend
The one who always held my hand
In public places when we drank
For him to wonderfully spend the night
With his new lover
The whispering of romance
That they can't write or understand
I will start a clever hashtag trend
Oh we mostly grow by dying

Arcade Fire - Reflektor (2013) 
Es glitzert, dieses Lied, man tanzt unter der Discokugel. Bei diesem Dance Hit bekamen Arcade Fire, ebenfalls aus Kanada, Unterstützung sowohl von LCD Soundsystem als auch von David Bowie, einem erklärten Fan der Band. Der drückte bei einem Spontanbesuch im Studio seine Begeisterung für den Song aus und "durfte" direkt ein paar Backvocals einsingen. Um Disco geht es wider Erwarten jedoch gar nicht, sondern um die Sehnsucht, hinter die Dinge blicken zu können, die Bedeutung von Worten oder Taten zu verstehen, um nicht schon dort zu scheitern, wo nur oberflächlich etwas zurückgeworfen wird, ohne dass man den Grund dafür erkennen kann. Weniger Schein, mehr Sein. Die Sehnsucht nach wahrere Verbindung. So in etwa unsere Interpretation. Ob der Text autobiographische Züge des Sängerpaars trägt, darüber lässt sich spekulieren.

I thought, I found a way to enter - It's just a reflektor 
I thought I found the connector - It's just a reflektor
Now the signals we send, are deflected again
We're still connected, but are we even friends?
We fell in love when I was nineteen
And now we're staring at a screen
Entre la nuit, la nuit et l'aurore
 
Eine kleine Geschichte wird hier erzählt, über verpasste Gelegenheiten und verlorene Liebe. Ein selbstmitleidloser Rückblick auf das eigene Leben, ein ironischer Ausblick auf dessen Ende. Dieser eine entscheidende Moment im Leben, er kam zur falschen Zeit und führte so zu einer auf ewig bereuten Entscheidung. Ein einsames Herz singt hier, das dennoch, so scheint es, seinen Frieden gemacht hat mit dem Lauf der Dinge. Eine kleine Geschichte aus dem echten Leben, die Lumineers-Sänger Wesley Schulz von einer Taxifahrerin erzählt bekam und die ihn zu diesem bewegenden Lied inspirierte.
 
But I was sad you asked it, as I laid in a black dress
with my father in the casket, I had no plans
And I left the footprints, the mud stain on the carpet.
And it hardened like my heart did when you left town.
But I must admit it, that I would marry you in an instant
Damn your wife, I'd be your mistress just to have you around
But I was late for this, late for that, late for the love of my life
And when I die alone, when I die alone, die I'll be on time

Und jetzt alle: Oh yes he is! Oh yes he is! Ein Lied zum Mitsingen, mit schmissigem Refrain. Aber: Hier haben wir es sowohl mit einer augenzwinkernden Karikatur der Fashion Victims der Londoner sechziger Jahre als auch möglicherweise mit einem Tribut an die Modemeile Carnaby Street zu tun. Und in genau dem Naturdoku-Stil, den mein letzter Satz hatte, werden hier die Swinging Sixties besungen, kultiviert, distinguiert, kariert. Oder gepunktet. Oder auch gestreift. Je nach Modetrend eben.

Everywhere the Carnabetian army marches on
Each one a dedicated follower of fashion
Oh yes he is, oh yes he is
His world is built round discotheques and parties
This pleasure-seeking individual always looks his best
'Cause he's dedicated follower of fashion

Hubbabubbaklubb - Mopedbart (2018) 
Eine klassische FOFL-Triebfeder ist mangelndes Verständnisses eines Textes. Und wo könnte der Mangel größer sein als bei einer Sprache, die man nicht spricht? So ein lässiger Song, aber was singen die da bloß und welche Sprache zur Hölle ist das? Norwegisch, in diesem Fall. Man kann die Mood des Cruisens allerdings schon in Melodie und Tonfall fühlen, bevor man sich die Worte erschließt. Nun gut, der Titel gibt auch einen kleinen Hinweis. Text ist selbsterklärend, sobald man ihn übersetzt hat. Ich konnte sofort den Mopedsitz unter mir und den Wind im Haar spüren. Zum Glück in keinerlei Bart.

Jeg
Jjjeg kjører høy fart,
med mopedbart.
Jeg ha'kke klokke på,
ingen steder jeg må gå.
Jeg kjører høy fart,
med mopedbart.
Jeg ruller opp noen små,
og er ferdigpakka nå.
https://lyricstranslate.com
Jeg kjører høy fart,
med mopedbart.
Jeg ha'kke klokke på,
ingen steder jeg må gå.
Jeg kjører høy fart,
med mopedbart.
Jeg ruller opp noen små,
og er ferdigpakka nå.
https://lyricstranslate.com
kjører høy fart
med mopedbart
Jeg ha'kke klokke på
ingen steder jeg må gå
Jeg kjører høy fart
med mopedbart
Jeg ruller opp noen små,
og er ferdigpakka nå
 
Ich fahre mit hoher Geschwindigkeit 
mit Mopedbart
Ich habe keine Uhr an
Ich muss nirgendwo hin
Ich fahre mit hoher Geschwindigkeit 
Mit Mopedbart
Ich rolle einen Kleinen
und bin nun ausgerüstet 

 

Happy healthy Holiday!


Sonntag, 6. Dezember 2020

Plenty twenty-twenty

2020 war aus bekannten Gründen kein Jahr für Konzertbesuche. Es war auch kein Jahr um Konzerte zu spielen und so haben viele Bands die überschüssige Zeit im Lockdown genutzt und sind sehr produktiv gewesen. Dementsprechend gab es ordentlich viel Musik dieses Jahr.

Auch Bands, die länger nichts Neues veröffentlicht haben, sind wieder auf der Bildfläche erschienen, wie etwa Die Ärzte, Doves oder Travis. Letztere waren früher einmal eine meiner Lieblingsbands, bis irgendwann der Funke nicht mehr übersprang. Auch das neue Album, mit dem etwas langweiligen Titel "10 Songs" hat mich nicht sehr überzeugt, dennoch hat ein Song davon es auf meine diesjährige Compilation geschafft. Sie besteht aus doppelt so vielen Liedern, 20 Songs, und hat den nur etwas weniger langweiligen Titel:

Und das ist nicht zuviel, sondern sogar zu wenig versprochen! Denn genaugenommen besteht die Playlist aus 21 Liedern. Der Bonus Track ist allerdings das Cover eines Klassikers von 1945: You'll never walk alone.

Brittany Howard hat sich auf die ursprüngliche Botschaft der Hoffnung des Liedes besonnen (bevor es die Hymne des Liverpool F.C. wurde) und ihn im Jahr der Pandemie und noch dazu am Tag der US Präsidentschaftswahlen in ihrer leidenschaftlichen Version veröffentlicht.

Meine persönlichen Favoriten dieses Jahr sind Fontaines D.C., The Strokes, Django Django, Billie Eilish, Idles und Jane Weaver. Highly recommended.

Ihr findet die Compilation entweder auf Spotify > Plenty twenty-twenty   oder als CD in Euren Händen, sollte ich einem von Euch begegnen (leider unwahrscheinlich). Falls beides keine Option ist, hier die Playlist:

 

Alles Gute zu Nikolaus und viel Vergnügen!


Samstag, 14. November 2020

Count every FOFL - das Vierzehnte

[Links zu den Liedern wie immer in den Titelzeilen]
 
Vor einer Woche bereits fand das vierzehnte FOFL statt, mitten im amerikanischen Wahlkrimi, der mal kurz von der Pandemie abglenkt hat. Kurz bevor das FOFL am Samstagabend begann, kamen endlich die guten Nachrichten, also das Wahlergebnis. Überstanden ist das Ganze aber natürlich noch nicht. Und wird es noch lange nicht sein. Eine solche Spaltung verschwindet ja nicht plötzlich, denn sie ist ja auch nicht plötzlich entstanden.
Die FOFLer waren glücklicherweise nicht gespalten hinsichtlich der besprochenen Lieder sondern weitestgehend einer Meinung, was die Diskussion aber nicht weniger interessant oder spaßig gemacht hat.
 

Queen - Bohemian Rhapsody (1975)
In Germany we call it a Klassiker, nicht nur beim Karaoke. Wir haben uns weniger auf den bekannten Inhalt (junger Mann ruiniert sein leben Weg indem er einen Mord begeht und ihm nun die Hinrichtung droht) konzentriert als auf die viel spannendere und lustigere Form. Falls der Begriff 'Rhapsodie' ein 'Böhmisches Dorf' ist (ha ha): Eine Rhapsodie ist ein an keine feste Form gebundenes Werk, musikalische Motive können wechseln und zusammenhanglos verbunden sein. Und in diesem Fall nehmen sie den Text mit: Opernhafte Elemente werden mit Schlagwörtern aus dem Genre zusammenhanglos vertextet (Galileo Figaro!), gefolgt von einer faustrockartigen, sich auflehnenden Tirade (So you think you can stone me and spit in my eye?). Und da sich in der Erörterung dieses Meisterwerks ohnehin nie ein befriedigendes Ende mit annähernder Vollständigkeit finden würde, kann ich hier auch aufhören.

I'm just a poor boy, nobody loves me
He's just a poor boy from a poor family,
Spare him his life from this monstrosity.
Easy come, easy go, will you let me go?
Bismillah! We will not let you go! (Let him go!)

Zu straffer Gitarre gibt es spoken word, Aussage-Schnipsel aus verschiedenen Perspektiven. Das Verfolgen des Lebens derer, die im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, kann Menschen ein Ventil für schwierige Emotionen bieten und helfen, harte Zeiten in ihrem Leben zu bewältigen. Die Verlobung von Meghan Markle and Prince Harry kann offenbar sogar Trost spenden, wenn die eigene Beziehung gerade zerbricht, wie im Falle der Sängerin dieser Post-Punk-Band. Mächtig ist die Faszination, die von den Royals ausgeht, eine nationale Obsession. Das Lied ist nicht ironisch gemeint in Bezug auf die Wertschätzung für Meghan, sondern im Hinblick auf die Sezierung ihrer Person durch die Medien und die Öffentlichkeit, es prangert Klatsch, Anmaßung und Voyeurismus an.
 
You got engaged on the day that I moved out. It's ok.
She's a smasher, perfectly suited for the role.
Messages from the public: Thank you for all you're doing, we love you.
You're just what England needs, you're going to change us.
He's like the cat that got the cream
He's marrying for love it doesn't matter

Mott the Hoople - All the way from Memphis (1973) 
Wenn der Erfolg überraschend kommt, kann es passieren, dass man ihm nicht gewachsen ist. Man mag noch aussehen wie auf Bewährung entlassen oder wie ein Penner anstatt wie ein Star und das Tourleben mag einen noch so überfordern, dass man seine Gitarre am Flughafen stehen lässt und beim nächsten Konzert ohne dastehen würde, würde sie einem nicht hinterher geschickt werden. Wenn man sich dafür noch schämt, zeigt das, dass man den Rock 'n' Roll Lifestyle noch nicht verinnerlicht hat und nicht davon ausgeht, dass man sich alles erlauben kann. Das ist sympathisch. Es gibt mehrere Oriole (ohne s) in den USA und es gibt die Baltimore Orioles, die hier symbolisch gemeint sein könnten. Welches Orioles genau gemeint ist, blieb unklar.Vielleicht auch der britischen Band die überraschend zu Ruhm in den USA gelangte und etwas lost durchs Land tourte.

Yeah, it's a mighty long way down rock 'n' roll
From the Liverpool docks to the Hollywood bowl
An' you climb up the mountains an' you fall down the holes
All the way from Memphis
Yeah it' a mighty long way down rock 'n' roll
As your name gets hot so your heart grows cold 
 
Wir machen uns die Welt, widde widde wie sie uns gefällt. Das ist die Stimmung des Liedes. Bunt, zuckrig, fantasievoll, harmlos.  Wir erhalten Einblick in den Schulalltag von Kevin, Lucy, einem "me" und Cynthia Rose. Sie ist, was jede Schule hat, die Besondere, die Beliebte. Sie trägt Socken mit unterschiedlichen Farben und stellt sich verschmitzt ein fantastisches Frühstück zusammen, um das ihre Freunde sie beneiden. Auch wenn der Refrain dazu geeignet ist, dass auch Kinder ihn mitsingen können und damit in seiner Lieblichkeit mit dem Text harmoniert, ist der Song dennoch kein simples Kinderlied. Cynthia ist ein Freigeist und wir werden dazu aufgefordert die Welt wieder mehr mit den Augen eines Kindes zu sehen, das noch alles für möglich hält.
 
Her favourite number was twenty and every single day
If you asked her what she had for breakfast this is what she'd say
Starfish and coffee, Maple syrup and jam
Butterscotch clouds, a tangerine and a side order of ham
If you set your mind free, baby
Maybe you'd understand

Was die Ärzte brilliant in "Schrei nach Liebe" umgesetzt haben, kommt hier wesentlich platter daher, sowohl textlich als auch musikalisch. Es sollte wohl sicher gestellt werden, dass jene Idioten, die hier besungen werden, ebenfalls verstehen worum es geht. Während die Ärzte das Thema mit Humor und auch Spott angingen, bleibt die US-Band recht ernsthaft bei der Sache. Und es ist ja auch ernst (wie man aktuell sehen kann!). Deshalb macht es dieser Tage schon schlicht Mut, dass rechtes Gedankengut von einer US-Band anprangert wird. Und nett ist natürlich die Anspielung auf The Who's "The kids are alright", einst eine Hymne der weitaus sympathischeren Mod-Subkultur im England der sechziger Jahre.

So if you feel alone and downtrodden
There's an elixir for your ills
Join the Alt-Right post-light endarkenment order
And the rest of those bastards can go to hell
Alternative facts, alternative lies
Alternative names, alternative tribes

Slade - Thanks for the Memory (1976) 
Auch bei diesem Beitrag gab es Assoziationen zur Band Die Ärzte. Der Vergleich erfolgte hinsichtlich des Rufs als Partyband (obgleich man der "besten Band der Welt" häufig etwas mehr kritischen Gehalt zugestehen darf). Wham bam - ein Spaßlied in der Tat! Zu einer recht aufgekratzten Melodie gibt es einen noch heitereren Text voller Wortspiele auf Krankheiten wie "Housemaid's knee" (Bursitis im Knie), "athlete's foot" (Fußpilz) oder "butterfly disease" (eine Hautkrankheit). Anspielungen wie jene auf den Impfmythos, dass Milchmädchen immun gegen Kuhpocken waren ("Have a milkmaid on your farm") offenbaren sich nicht so unmittelbar und es bleibt zudem etwas Unsicherheit darüber, was der Arzt genau meint, wenn er sich für all die Erinnerungen bedankt. Weil er nichts mehr zu tun hat, seit der uralte Rat vom täglichen Apfel befolgt wird? 

Como estas chickadee?
Have a housmaid on your knee
Eat an apple ev'ry day
An onion keeps ev'ryone away
Have an athlete on your feet
Have some lovesmell on your sheet
Eat an apple ev'ry day
The doctor has got to keep away.
He'll tell you Thanks for the memory
Thanks for it all


Auch ich bedanke mich für diese FOFL-Herbstedition. Mit Glück kriegen wir dieses Jahr abschließend noch Nummer 15 (Jubiläum!) hin. Bis dahin bleibt gesund! Darüberhinaus natürlich auch.
 

Montag, 14. September 2020

FOFL the 13th

[Links zu den Liedern wie immer in den Titelzeilen]
 
Im 13. FOFL war es soweit: Zum ersten Mal tauchte der Text eines Literaturnobelpreisträgers auf.
(Dabei wird es sicher auch bleiben, da es bisher erst einen Musiker gab, der für seine Liedtexte den Preis erhielt und höchst wahrscheinlich auch keinen weiteren geben wird, der diese Auszeuichnung erhält, denn diese Neuerung war erstaunlich genug und wird sicher so schnell nicht wiederholt werden, obgleich es natürlich möglich wäre, dass wir irgendwann einmal ein weiteres Lied des Ausgezeichneten besprechen.)
In einigen Fällen wurde stark genuschelt ("versteh ich nicht" ist ja quasi ein klassischer FOFL-Aspekt), in anderen Fällen wurde stark geschrien (auch wenn nicht alle FOFLer es als Schreien empfanden) und sowohl Franzosen als auch Jesus tauchten jeweils direkt als auch indirekt auf. Klingt das spannend? Falls nicht: mein Fehler. War es aber!
 

Birds in a row - 15-38 (2018)
Franzosen im Zug! In Wagen 15 um genau zu sein. Und auf Platz 38 ein schmieriger, laut telefonierender, nach billigem Aftershave riechender, rücksichtloser Ego-Typ, den es nicht juckt, dass er den Anwesenden auf den Sack geht. Der Erzähler scheint bereits im Vorfeld müde und ausgelaugt und dieser Typ gibt ihm den Rest, so dass die Stimmung sich fatalistisch auflädt. (Dann wir geschrien.) Aber wenn es nichts mehr zu verlieren gibt, kann man sich eigentlich auch wieder verbrüdern. Strophenweise ist man Gegenpol, am Ende doch ein Wir.

Cheap perfume ran on the dust
And it found no rest
I lost a life waiting somewhere
Between your teeth and nails
And this train just won't crash
I dream of a world
Where the birds won't sing
Every single text from your ex
(...)
"Hate me, love me
We already lost the world"
You know we'd better run

Franzosen im Haus! Im Haus von James Murphy, um genau zu sein. LCD Soundsystem ist das Ein-Mann-Projekt des Multiinstrumentalisten James Murphy. Diese Hommage erzählt den Traum davon, dass Daft Punkt in seinem Haus auftreten. Dafür dass es ein wahrhaftiger Traum von Murphy gewesen sein könnte, den er wiedergibt, spricht die detaillierte Schilderung der abstrusen Umständen, wie man sie meist nur im Traum zurechtspinnt. Der eigentlich Gig ist nicht wirklich Thema. Das Lied endet quasi mit der Ankunft der "Robots" und es liegt bei Weitem nicht allein am Kuhglocken-Solo, dass das Lied Spaß macht. 

Well everybody's lined up in my house, my house
And Sarah's girlfriend is working the door
Got everybody's PA in my house, my house
All the robots descend from the bus
There's a freak out brewing in my house, my house
In the basement, 'cause Daft Punk is playing at my house, my house
You got to set them up, kid, set them up
You got to set 'em up, ooh ooh yeah

The Strokes - The adults are talking (2020) 
"I know you think of her, when you think of me" ist eine Zeile, die einen auf eine falsche Fährte bringen kann, sofern man von einem Falsch oder Richtig ausgeht. Aber FOFLn ist nunmal Sinnsuche und wenn man die Zeile als ein Beziehungsding liest, passt der ganze Rest des Texts nicht dazu. Der Titel deutet ein Machtgefälle an: Jetzt reden die Großen. Geht es also um Politik? Auch so wird die Sache nicht rund. Ein FOFLer knackt schließlich die harte Nuss: Hier setzt sich eine sophisticated Mittelschichtband mit der Musikindustrie auseinander, mit der Erwartungshaltung von Plattenbossen, Stockholdern, Kritikern und Publikum. Dann passt alles. Die obige Zeile wird als Anmaßung eines (weiblichen) Fans gelesen - stellvertretend für die Neigung ein Kunstwerk auf die eigene Person zu beziehen. FOFL-Sinnsuche erfolgreich! Check.

They will blame us, crucify and shame us 
We can't help it if we are the problem
We are trying hard to get your attention
I'm climbing up your wall
Climbin' up your wall
Don't go there 'cause you'll never return
I know you think of me when you think of her
But then it don't make sense when you're trying hard
To do the right thing but without recompense 
 
Wie bereits erwähnt wurde der Literaturnobelpreis erst an einen einzigen Musiker vergeben und man kann sich schon fragen, warum. In vielen Fällen, aber auch und vor allem im Falle Roger Waters, nicht weniger bekannt (oder eben doch?) für die politische und gesellschaftskritische Betonung seiner Lyrik - eine Voraussetzung für die Nomination, die manchmal nervt, aber Idealismus war nun mal ein von Nobel vorgegebener Maßstab.
Das hier im Fokus stehende Lied mag musikalisch nicht zu den Meisterwerken Pink Floyds zählen, aber der Text, wahrscheinlich inspiriert von Kriegserlebnissen des Vaters, verdichtet in wenigen Worten das Drama von zu jungen Soldaten, von der gekappten Verbindung von Heimkehrern zur Familie sowie die im Titel genannte mögliche Vergangenheit, die nicht mehr sein kann. Hervorragend die geballte Erwähnung von drei Weltkriegen in einem Satz durch entsprechende Symbole:  

In derelict sidings, the poppies entwine
With cattle trucks lying in wait for the next time
Do you remember me? How we used to be?
Do you think we should be closer?
She stood in the doorway, the ghost of a smile
Haunting her face like acheap hotel sign
Her cold eyes imploring the men in their macs
For the gold in their bags or the knives in their backs

Neurosis - Locust Star (1996) 
Hier sind wir in der Kategorie "Schwer zu verstehen". Zum einen liegt das am Text selbst, der angereichert ist mit religiöser Symbolik und zwar im Zeilentakt: Heuschreckenplage, Schlange, Steinigung, Heilige, Himmelfahrt. Zum anderen liegt es an den Stimmlagen, in denen das Ganze im Dialog dargeboten wird. Kurz: Einer schreit, einer brüllt. Zumindest einer ist gezeichnet, hat Narben davongetragen. Es scheint ein Wehren gegen die Einschränkungen durch religiöse Konventionen, ein Aufbegehren gegen jene Mächte, eine Anklage. Oder ist es ein Einstimmen? Der letzte Absatz ist ein Konglomerat aus Vaterunser und Offenbarungslehre und sicher noch einigem mehr, das uns entgangen ist, abgeschlossen mit der Wendung der Freimaurer: So soll es sein!

That which is above (you all lower me)
Is as that which is belwo (you all lower me)
That which is belwo (you all lower me)
Is as that which is above (you all lower me)
Thy will be done (Christ shine blinds your world)
Thy kingdome come (your belief is scars)
On Earth as in Heaven (Christ shine blinds your world)
So mote it be (your belief is scars)

Idles - Mr Motivator (2020) 
Repeat after me! Die wohl üblichste Aufforderung von anheizenden Impulsgebern in Motivationstrainings, meist gefolgt von autosuggestiven Bestärkungen oder vergleichenden Beispielen, die zu Leistungen animieren oder einen schlicht aus einem seelischen Sumpf ziehen sollen. Manchmal wird damit das Gegenteil erreicht, verstimmen einen die Klischees und nervt das "Friede, Freude, Eierkuchen"-Gedöns. Die Idles scheinen zu wissen wovon sie da singen und ihre kreativ hingerotzten Klischees machen gepaart mit guter alter Punktradition eine Menge Vergnügen! Also mich motiviert das ungemein.

I am I and I intend to go, go, go
Like Frida Kahlo painting 'arm the poor' on your fuck-off wall
Like Tracey Emin in her unmade bed listening to The Fall
Like Flava Flav in the club riding on the back of John Wayne
Like David Attenborough clubbing seal clubbers with LeBron James
How do you like them clichés?
Let's seize the day
All hold hands, chase the pricks away

Blur - Out of time (2003) 
Irgendwie läuft es nicht rund, zu viele Menschen sind niedergeschlagen, alle sind tretmühlenartig beschäftigt und fühlen nicht mehr die Sonne im Gesicht. Das Lied ist ein Appell: Wir müssen mehr Zeit finden, unseren Geist öffnen und nicht aufhören zu träumen. Auch wenn viele Menschen gegenwärtig, während der Pandemie, etwas entschleunigt sein mögen, transportiert der Song (der lange vorher geschrieben wurde) eine beruhigende Hoffnung, lässt einen innehalten. Das kann nicht schaden, denn Entschleunig hin oder her, jetzt wird sogar noch mehr in Bildschirme geschaut und vielen entgleitet in der Unplanbarkeit das Konzept Zukunft. Wir scheinen wir aus der Zeit gefallen. But if we stop dreaming now, Lord know we'll never clear the clouds...

Feel the sunshine on your face
It's in a computer now
Gone to the future way out in space
And you've been so busy lately
That you haven't found the time to open up your mind
And watch the world spinning gently out of time
Tell me I'm not dreaming but are we out of time
Out of time, out of time

Bob Dylan - Jokerman (1983) 
Es dürfte in der Einleitung bereits klar gewesen sein, von wem als Literaturnobelpreisträger die Rede war, beziehungsweise, wer die Rede bei diesem FOFL gehalten hat, denn Bob Dylans Texte sind ja häufig wie lange Reden...Ein waschechter, aber stark nuschelnder Barde. Im recht langen Text finden sich jede Menge biblische Anspielungen, Sodom und Gomorrah, Levitikus und Deuteronomium. Scheint beim ersten Vers wahrscheinlich, dass es sich beim Jokerman um Jesus handelt, werden im weiteren Verlauf die biblischen Bilder von politischen abgelöst und wird die Figur Jokerman in viele Richtungen verdreht. Das ganze ist ziemlich mystisch. Zur Musik: Obwohl keiner der FOFLer davon wirklich vom Hocker gehauen wurde, erfährt das Lied fortwährend Anerkennung durch Tributes und Cover. Wer Bob (und seine Mundharmonika) nicht mag, kann es ja mal hiermit versuchen: Jokerman (Cover) !

Standing on the waters casting your bread
While the eyes of the idol with the iron head are glowing
Distant ships sailing into the mist,
You were born with a snake in both of your fists while a hurricane was blowing
Freedom just around the corner for you
But with the truth so far off, what good will it do?
Jokerman dance to the nightingale tune,
Bird fly high by the light of the moon,
Oh, oh, oh, Jokerman

 

November next!