Donnerstag, 26. März 2020

Stay (quaran)tuned

Ja, ich weiß, es gibt bereits zuhauf Playlists zur Coronakrise und das ist schon fast wieder ein Grund, sich nicht einzureihen. Aber allein das Konzept "sich einreihen" ist in Zeiten der Isolation einfach zu verlockend...
Dafür verspreche ich, dass weder "I will survive" noch "Another one bites the dust", weder "Can't touch this" (obwohl es witzig ist) noch "Sound of silence" und vor allem nicht "My Sharona Corona" auftauchen.

Hier also ist meine kleine Playlist: quarantune



Montag, 23. März 2020

Hauptsache nichts mit Menschen

Im Supermarkt hat heute ein Mann der Kassiererin erklärt, dass auch er, der in der IT einer Anwaltskanzlei arbeite, quasi systemrelevant sei, da von der IT ja auch immer einer vor Ort sein müsse und nicht ins Home Office dürfe. Daraufhin sie ganz trocken: Ja, aber eben immer nur einer.

Er meinte es gar nicht böse, er wollte sich wohl eher unbeholfen solidarisieren. Als das dann nach hinten los ging, hat er sich ganz empathisch zur Kassiererin hin gebeugt und ihr mit einem Abstand von etwa 40 cm gewünscht, dass sie gesund bleiben möge. Immerhin hat er kein Klopapier gekauft.

Sonntag, 22. März 2020

Ich war noch niemals in .... Quarantäne

Ich pflege ein kleines Ritual hinsichtlich meiner Geburtstage. Es besteht darin, etwas zu tun, das ich noch nie getan habe. Nicht unbedingt etwas, das ich schon immer machen wollte und auch nicht unbedingt etwas sehr Außergewöhnliches. Aber etwas Neues. In der Vergangenheit war das zum Beispiel mal eine Schiffsrundfahrt auf dem Main, weil man als Tourist zu solchen Unternehmungen neigt, dergleichen aber eher selten in der eigenen Stadt macht. Woran ich mich erinnere ist, dass es für März überraschend sonnig und warm war und ich mir einen Sonnenbrand im Gesicht zugezogen habe. Das war dann das eigentlich Neue, etwas, das ich bisher an meinem Geburtstag noch nie erlebt hatte.
Besonders gerne verreise ich an meinem Geburtstag auch. Damit war dem Ritual in der Vergangenheit schon genüge getan, da ich einfach festhalten konnte: Ich war noch niemals in London, ich war noch niemals in Brüssel, ich war noch niemals in Venedig... Das Ritual führte in Verbindung mit dem Reisen zu besonders bleibenden (also leicht zu merkenden) Erinnerungen. Ich war an meinem Geburtstag zum ersten Mal im Tower und sah wo Anne Boleyn geköpft wurde. Ich war an meinem Geburtstag im Atomium und habe in einem belgischen Café zum ersten Mal Macarons gegessen. Ich habe an meinem 40. Geburtstag an einem Kanal in der Stadt der Lagunen meinen ersten Espresso überhaupt getrunken und seitdem nicht mehr damit aufgehört (normalen Kaffee trinke ich bis heute nicht).
Wie gesagt sind es oft aber auch bescheidenere Unternehmungen. Letztes Jahr fand der Book Club statt, den ich zwar regelmäßig besuche, aber eben noch nie an meinem Geburtstag hatte. Anschließend habe ich in einer Konditorei Torte gekauft, anstatt selbst zu backen, auch das war neu.

Dieses Jahr ist alles neu und ich muss mir nichts ausdenken oder mich für etwas entscheiden. Mein diesjähriger Geburtstag wird sich als der Corona-Geburtstag in die Erinnerungen einreihen. Hoffentlich nur als der (eine und nicht erste) Geburtstag in Zeiten von Corona und nicht als der Geburtstag mit Corona (und damit meine ich nicht primär eine eigene Infektion). Es stört mich nicht, dass es kein geselliger Geburtstag sein wird. Ich kann mich wunderbar zuhause beschäftigen. Derzeit male ich an einem Bild, das ich meiner Schwester zu ihrem 50. Geburtstag im August schenken will. Ich hoffe, dass sie ihn vielleicht doch wird groß feiern wird können, wie sie es eigentlich vorhat. Das ist in fünf Monaten und keiner weiß, wie es bis dahin sein wird.

Ich wollte dieses Jahr an meinem Geburtstag mit einer Freundin auf dem Elbow-Konzert in Amsterdam sein, aber auch dieser Verlust ist inzwischen verschmerzt. Bloß ein Luxusproblem. Stattdessen trinke ich vielleicht meinen ersten Kaffee oder gehe waghalsig raus auf eine Runde Corona-Jump'n'Run. Die Regeln mögen nicht besonders spannend klingen, aber setzt dem Wort "Spannung" einfach ein kleines "An" vor:
- Komme niemandem näher als zwei Meter
- Finde offene Läden
- Besorge folgende Gegenstände: Geburtstagskuchen
  (wahlweise: Klopapier, Nudeln, Mehl, Desinfektionsmittel).
- Fasse nichts an außer diese Gegenstände und das für den Bezahlvorgang Notwendige
- Bedanke Dich ordentlich bei der Kassiererin oder dem Kassierer
- Werfe böse Blicke auf Leute, die nicht in die Armbeuge husten
- Springe über Leute, die Dir zu nahe kommen (mindestens zwei Meter über deren Köpfe)
- Schüttele den Kopf über Jugendliche, die sich in Gruppen zusammenrotten und eine Flasche irgendwas rumgehen lassen

Vorschläge für weitere Quests werden gerne entgegen genommen.


Zum Geburtstag wünsche ich mir übrigens, dass Ihr zuhause und gesund bleibt. Und natürlich, dass nächstes Jahr um die Zeit alles wieder gut oder zumindest besser ist.


Montag, 16. März 2020

So many books, so little time


Ich hatte ein wenig Zeit, meine Bücher zu ordnen, habe neu erworbene eingefügt und ein paar alte Schätze wiederentdeckt, die auch noch gelesen werden wollen. Wie so oft machte es mich ganz kribbelig, ein Buch nach dem anderen in Händen zu halten, das ich am liebsten sofort lesen würde, gar nicht zu wissen, wo anfangen und wie die Zeit finden. Wie Frank Zappa schon sagte: "So many books, so little time."
Dieses Problem könnte sich bald durch die derzeit viel größeren Probleme lösen. Wir werden womöglich viel Zeit zum Lesen bekommen. Bleibt gesund!

Montag, 2. März 2020

FOFL-Dekade

Happy anniversary, FOFL! Nach zwei Jahren trafen wir uns nun zum zehnten Male, um über mehr oder weniger verständliche Texte von mehr oder weniger bekannten Liedern zu sprechen. Wir waren im Idiotental und in Louisiana, gingen entlang stiller Hecken, besuchten die Ghettowelt, die Karibik und ein Pub in Dublin.
Das hier waren unsere jeweiligen Interpretationen, so grob.

Olifr M. Guz – Idiotental (1998)
Ein Original (Hippie?) trifft auf Pseudos (Blumenkinder?), die nur oberflächliche Klischees leben. Der 'komische alte Mann', der hier singt, ärgert sich sowohl über die ahnungslosen Arschgeigen als auch über sich selbst, weil er immer wieder auf solche Idioten hereinfällt. Der Schweizer Sänger Oliver Maurmann, Mastermind der Band Die Aeronauten und solo unterwegs alias Guz, verstarb leider Anfang des Jahres im Alter von nur 52 Jahren.

Ich erzählte ihnen von der Welt
aus der ich kam,
sie verstanden kein Wort
und lachten mich blöde an (…)
und meinten, ich solle noch bei ihnen bleiben,
doch sie fingen an zu tröten
auf selbstgemachten Flöten
und ich wusste: Es waren Arschgeigen.


Pixies – Where is my mind? (1988)
Die überzeugte Annahme aller FOFLer, zurückzuführen auf die im Refrain wiederholte Titelfrage, dass es sich hier um die Beschreibung eines Drogenrausches handele, wurde durch das Hintergrundwissen, dass hier tatsächlich vielmehr ein Tauchgang beschrieben wird, auf die Probe gestellt. Wir waren uns trotzdem einig: Dann geht es eben um Tauchen unter Drogeneinfluss. Ein Running Gag der Band ist, aufgrund der Unverständlichkeit eines Verses, diesen live immer neu zu formulieren und es kursieren mehrere Liedtexttranskriptionsvarianten. Für die farbig markierte Strophe wird also keine Gewähr übernommen.

I was swimmin‘ in the Carribean
Animals were hiding behind the rock
Except the little fish
But they told me east is west
Trying to talk to me, to me to me

Where is my mind?
Way out in the water
See it swimming

 
Bauhaus – Silent Hedges (1982)
So ist das manchmal mit Liedern 'von früher'. Man selbst findet sie super, weil sie Träger von Erinnerungen sind oder einem ehemals neue musikalische Horizonte eröffnet haben. Andere, die sie fast vierzig Jahre später zum ersten Mal hören, berühren sie nicht wirklich. Der kryptische Text hilft auch nicht gerade. Zur Erklärung: Er besteht in einigen Teilen aus Zitaten oder Anlehnungen an Szenen aus „Brave New World“ von Aldous Huxley und sobald man das weiß (und das Buch kennt), verdeutlicht sich das Thema 'Frieden auf Kosten von Freiheit'.

Self confidence leaks
From a thousand wounds
Faults of civilizations
Burning the private paradise of dreams
Minus hands of the electric clock clock clock clock
What happens when the intoxication of success has evaporated?


Underworld – S-T-A-R (2019)
Um Underworld, die den meisten für das in Trainspotting vorkommenden „Born slippy“ bekannt sein dürften, war es ein paar Jahre etwas ruhiger. Nun sind sie mit einem liedgewordenen Abzählreim zurück, bei dem sie offenkundigen Spaß am Namedropping haben. Die erste Zeile des Liedes, „each peach, pear, plum“ ist der Beginn eines in England beliebten Kinderbuchs, die Namen aber kommen aus aller Welt. Auch der Regisseur von Trainspotting, Danny Boyle, hat die Ehre. Ein tieferer Sinn lässt sich nicht erkennen, der Wiedererkennungseffekt aber macht Spaß.

David Beckham on the train
I spy Michael Caine
Michael Caine in Vienna
I spy Ayrton Senna
Ayrton Senna on his step
I spy Johnny Depp
Johnny Depp in the dark
I spy Rosa Parks
Rosa Parks is a star
S-T-A-R


Blumfeld – Ghettowelt (1992)
Ein Lied, das zeigt, dass feine Lyrik, auch wenn ihr Inhalt anspruchsvoll sein mag, zu schneidenden Songs taugt. Allein der Auftakt: „Ein Lied mehr, das Dich festhält“! Die Reime mögen einfach sein, die Verse aber sind bedeutungsschwanger. Man ahnt, nicht zuletzt wegen des Fehlens eines Refrains: sie gehören nicht zu einem leichten Popsong. Und in der Tat wird die Stimmung der Worte passend transportiert von einem sie grimmig ausstoßenden Distelmeyer und einer wütend-melancholischen Musik. Mit dem Ghetto ist kein Ort oder bestimmtes soziales Umfeld gemeint, sondern vielmehr die Reibung des Selbst an der Kunst, der Familie und der Liebe.

Eine Telefonnummer mehr
Du weißt Du brauchst sie sehr
Irgendwen ganz nah bei Dir und Du sagst:
'Wenn Du leben willst, komm mit mir!'
Aber eigentlich nur zu Dir
Ein Lied mehr ist eine Tür
Ich frag mich bloß wofür
Denn das was dahinter liegt,
scheint keinen Deut besser als das hier


Fontaines D.C. – Liberty Belle (2018)
Ja, 2018, kaum zu glauben. Klingt 35 Jahre alt, wunderbar schraddelig. Es gibt ein Pub in Dublin, das denselben Namen trägt wie dieses Lied und in dem die Band in jungen Jahren (in denen sie immer noch sind) getrunken haben. Um eine Hommage scheint es jedoch nicht zu gehen, vielmehr um den alltäglichen Wahnsinn, in einem Viertel aufzuwachsen, wo Alkohol, Drogen und Gewalt zu immer gleichen Szenen führen, einen über Generationen reichenden Kreislauf bilden. Der Text allein treibt, die Musik treibt ihn noch mehr. Hierzu ein verschmitztes Zitat von Frontmann Grian Chatten: „Basically I don’t see the distinction between lyrics and poems till I try it in a song and if it works, I call it lyrics.”

You know I love that violence
That you get around here
That kind of ready-steady violence
That violent ‘how do you do’
And the lie when his Daddy was asleep in a phone booth
He’s just very very tired of having
That same old boring conversation
Just like me, just like you
Man is on the nod yeah what you gonna do about it?

 
Cass McCombs – Rancid girl (2016)
Ein Liebeslied der anderen Art, für eine eher unkonventionell attraktive junge Frau, gerade mal 17 Jahre alt, ein 'ranziges' Punk Rock Girl mit einem Crystal Meth Problem. Sie hat schlechte Zähne, einen abgefuckten Look, riecht unangenehm und hat einen toten Ausdruck in den Augen. Stellenweise nahezu angeekelt bekennt sich hier ein Mann zu seinen Gefühlen für das trotz allem offenbar begehrenswerte Mädchen. Er fühlt sich machtlos und würde sich am liebsten aufhängen (aber nur in Louisiana). Cass McCombs Stimme trägt diesen Widerwillen ebenso authentisch wie die abwechslungslose Musik ihn unterstreicht.

You carry cortisone cream
You‘re a young man‘s dream
Four years I‘ve been clean
Now I think I‘ll shoot myself
You got rancid skin and a rancid blouse
You got the disposition of a dirty bomb mixed with Minnie Mouse

 

The Beloved – Hello (1990)
Ein weiterer Song mit jeder Menge Namedroppping ist dieser knapp 30 Jahre ältere Hit der britischen Rave-Ära. Im wohl leichtesten, fröhlichsten Lied des Abends werden eine Menge berühmter sowie fiktiver Personen angeführt, gleichberechtigt daneben stehen die Namen weniger bekannter Menschen, offenbar Freunde der Band. Ein fofliger Spaß all die Genannten durchzugehen, aber auch kein einfacher, da die meisten vornehmlich in England größere Bekanntheit gehabt haben dürften und kaum darüber hinaus. Oder kennt hier einer Sir Bufton Tufton?

Sometimes I feel we must be going mad
Little Richard, Little Nell
Willy Wonka and William Tell
Salman Rushdie and Kym Mazelle
hello, hello, hello, hello…


Fjørt – Lichterloh (2016)

Fast schon eine Tradition beim FOFL ist es ja, die Texte zunächst zu lesen, ohne das Lied zu hören und ohne den Titel und Interpreten zu kennen. Deshalb können schon mal interessante Vermutungen entstehen, um was es sich hier handeln könnte. So fielen beim Lesen dieses Textes Namen wie Herbert Grönemeyer (inklusive Imitation) oder Silbermond. Beim Hören des Stücks der deutschen Band, die dem post hardcore zugeordnet wird, erhält das im Nachhinein natürlich eine gewisse Komik. Sind ein paar sehr schöne Zeilen dabei, überzeugt Euch selbst:

Bitte sei für mich, was ich bin für dich
Doch damit kann ich nur verlieren
Wir sind nur gleich auf dem Papier
Bitte sei für mich, was ich bin für dich
Mit diesem Satz geb‘ ich auf
Doch ihn kapieren wirst du nicht
Denn dein Gott bist du selbst



Freue mich schon auf die Inspirationen, Horizonterweiterungen und Diskussionen der nächsten zehn FOFL, hurra.