Freitag, 20. März 2009

Oh Schande


Aus der Angst heraus, sich bei, nein mit der eigenen Lesung zum Affen zu machen, entstand, in der Absicht, sich selbst die Angst vor der Angst zu nehmen, ein Nachdenken darüber, ob man das nicht schon längst auf schlimmere Weise mal getan hat - sich zum Affen.
Denn wenn einem eine Gelegenheit einfällt, bei der man sich recht lächerlich gemacht hat und einem dann klar wird, dass man auch das überlebt hat, so kann man vielleicht mit einer Aura des Unkaputtbaren in die nächste Gelegenheit, sich zum Affen zu machen tappen.
Vielleicht hört man dann während des Vorlesens im Hinterkopf „I will survive“, während die anderen wiederum einem selbst zuhören oder zumindest so tun, während sie vielleicht ebenfalls „I will survive (this lesung)" im Hinterkopf haben.

Wie dem auch sei, ich überlege also, wann ich mich schon einmal zum Affen gemacht habe und erstmal will mir nichts einfallen. Liegt sicher an einer falschen Selbstwahrnehmung. Ich bin sicher es gibt ein paar Leute, die jetzt innerlich aufschreien: „Was? Da fällt mir aber einiges ein!“
Zwecks Abhärtung sollte ich ihr Gedächtnis nutzen und mich erinnern lassen. Aber so weit bin ich noch nicht. Ich fang mal klein an.
Einmal bin ich beim Verlassen einer Bar, deren Front ganz aus Glas war, mit der Stirn voran gegen die Glastür gelaufen, die ich offen zu sein glaubte. Die Bar war klein, jeder bekam es mit und mich durchfuhr eine Mischung aus Scham, Schmerz und Wut darüber, dass da nicht diese tollen schwarzen Vögel auf der Tür klebten, die man auch in Schwimmbädern immer bewundern kann. In dieser Wunde wurde nachträglich nochmal gebohrt, als ich eine paar Tage später den Wirt der Bar traf und er mir hämisch grinsend eröffnete, dass man noch den Fettfleck auf der Glastür sehen könnte, einen fatty forehead print sozusagen.

Dieses Beispiel scheint mir jedoch nicht geeignet zu sein im Vergleich. Schusseligkeit ist was anderes als Blamage. Wenn ich weiter darüber nachdenke, welche Blamage ich mir mal geleistet habe, so fällt mir eine Szene ein, die sich erst kürzlich auf einer Geburtstagsfeier zutrug, deren Gäste ich erst am selbigen Abend kennenlernte. Ich saß mit ein paar dieser Gäste beisammen und wir unterhielten uns über dies und das, aber purzelten schließlich doch in ein plötzliches Schweigen. Da ich gelegentlich unter "Logorrhoe" leide, also unter ungebremsten Rededurchfall, wie der Kabarettist Werner Schneyder das „Plappern weil man kein Schweigen ertragen kann“ umschreibt, plauderte ich munter drauf los.
Was genau ich erzählte und wie ich auf das Thema kam, weiß ich nicht mehr genau, aber ich endete mit dem Bekenntnis, dass ich langjährige und leidenschaftliche Sammlerin von Bechertassen bin. All die Anmerkungen die ich hierzu noch machen konnte, wie die, dass es sich mal so ergeben hat, dass etwa meine Schwester mir aus jedem Urlaub von überallher eine Tasse mitbrachte, was ich bald nicht mehr missen wollte, oder dass ich von vielen verschiedenen Leuten eine Tasse erhalten habe, an die ich gerne denke, wenn ich Tee trinke, und dass ich nun mal sehr viel Tee trinke und bestimmt 60 Bechertassen habe, die ich inzwischen nicht mehr recht unterzubringen weiß – all diese Anmerkungen konnten das peinlich berührte, (Weiter-)Schweigen der Gäste nicht brechen, im Gegenteil. Es wurde nun noch mit verständnislosen Blicken untermalt. Schließlich entschuldigte ich mich aus der Runde, um mir noch ein Stück Kuchen aus der Küche zu holen.

Nun, keine wirkliche Blamage vielleicht, meine ich, die ich ja ohnehin meine Bechertassen nie verleugnen würde, aber ein peinlicher Moment. Wahrscheinlich vor allem für meinen Freund, dessen Bekannte es waren.

Viel Schlimmeres ist mir bisher tatsächlich noch nie passiert (klopf auf Holz). Vielleicht wird die Lesung also mein künftiger Maßstab...
Nein, sicher ist mir schon Schlimmeres als das Erwähnte passiert, aber das habe ich entweder erfolgreich verdrängt oder würde es hier nicht erzählen.

Es ist ein Vorteil, dass man so was für sich behalten kann - den man jedoch nicht hat, wenn man sich vor laufenden Kameras blamiert. So hat eine ehemalige Schulkameradin von mir mal bei der TV-Sendung „Ruck-Zuck“ mitgemacht, bei der man in 10 Sekunden zu einem Begriff möglichst viele Assoziationen raushauen musste. Zu dem Begriff „Goethe“ rief sie „Wolfgang Amadeus“ in die Kamera - und war damit am nächsten Tag Schulgespräch, bzw. Schulschande.

Übertroffen wird diese Blamage noch von einer Bekannten, die zu einer Kontrolle bei ihrem Gynäkologen war, da sie eine Erkrankung vermutete. Als er ihr versicherte, dass alles in Ordnung sei, wollte sie erleichtert sagen, dass sie eben eine kleine Hypochonderin sei. Erst viel später, als sie die Praxis längst verlassen hatte und sich noch einmal wunderte, warum der Arzt auf ihre Bemerkung so seltsam reagiert hatte, fiel ihr auf, was sie versehentlich tatsächlich gesagt hatte: „Naja, ich bin eben eine kleine Nymphomanin.“

Nun, wie man merkt habe ich die Strategie der Entangstung geändert zu "Sich ausmalen, was andere schon verbockt haben, damit man sich selbst nach dem Reinfall in guter Gesellschaft wähnt". Wenn ihr mir noch ein wenig helfen wollt, dann öffnet doch bitte nicht die Tür falls ihr die Lesung vorzeitig verlaßt, sondern hinterlaßt einen liebevollen Fettfleck.



Keine Kommentare: